Konstanz betser Werfer Paul Kaletsch im Interview
29.10.2014 3. Liga

Konstanz betser Werfer Paul Kaletsch im Interview

29.10.2014 · 3. Liga, Männer 3. Liga, Staffel Süd · Von: pm verein/Andreas Joas

Konstanz betser Werfer Paul Kaletsch im Interview

Paul Kaletsch, 22-jähriger Rückraumakteur der HSG Konstanz, kam zur Spielzeit 2013/14 vom Zweitlisten TV Hüttenberg an den Bodensee. Von Beginn an konnte er sich einen Stammplatz erkämpfen und seitdem immer mehr zum Leistungsträger reifen, der in seiner zweiten Drittligasaison zunehmend mehr Verantwortung übernimmt und mit 43 Treffern derzeit bester Konstanzer Torschütze ist. Mit 21 verwandelten Siebenmetern bei 25 Versuchen gehört er zu den besten Schützen der Liga, sowohl was die Anzahl der Tore als auch die Trefferquote anbelangt. Er studiert Politik und Wirtschaft an der Exzellenzuniversität Konstanz und trägt seit seiner schriftlichen Bootsführerschein-Prüfung, als er vor circa 200 Prüflingen mit Ingolf aufgerufen wurde und seine Unterlagen mit diesem Namen gekennzeichnet waren, Ingolf als Spitznamen.

Im Gespräch mit HSG-Pressesprecher Andreas Joas spricht er vor dem Heimspiel am Samstag um 20 Uhr in der Schänzle-Sporthalle gegen den TV Germania Großsachsen über die Gründe für die jüngste Erfolgsserie der HSG Konstanz nach dem missglückten Saisonstart sowie die anstehenden richtungsweisenden Aufgaben, seine Ziele und Träume, Druck und die Entwicklungen in der 2. und 3. Liga. Zudem erklärt er seine Nervenstärke bei Siebenmetern und erzählt von den Unterschieden zwischen „badischer und hessischer Kultur“.

Paul, Ihr habt nach einem missglückten Saisonstart einen guten Lauf und habt mit dem ersten Auswärtssieg der Saison beim Topteam TV Hochdorf zuletzt 6:2 Punkte geholt. Wie wichtig war dieser erste Sieg in der Fremde nach ein paar unglücklichen Niederlagen zuvor für das Selbstvertrauen, wie wichtig war es, dass ihr Euch endlich für die ansteigende Form auch auswärts belohnen konntet?

Super wichtig! Der erste Auswärtssieg ist immer von besonderer Bedeutung. Gerade für die vielen jungen Spieler in unserem Kader, die noch nicht richtig wissen, wo sie stehen und die sich fragen, wie gut sie wirklich sind. Die Erfahrung bei uns war sicher geringer als bei Hochdorf, wir sind ein junges Team, aber jeder hat seinen Teil dort zum Erfolg beigetragen. In Nußloch waren wir schon ganz nahe dran, es hat nur das letzte Quäntchen gefehlt. Der verdiente Sieg in Hochdorf, die über ein Jahr nicht mehr zu Hause verloren haben, gibt definitiv Auftrieb und Rückenwind für die nächsten Partien.

Mit dem zweiten Heimspiel gegen Heilbronn lief es auf einmal spürbar besser. Was sind neben dem Mentaltraining die Gründe dafür?

Harte Arbeit im Training vor allem. Unsere Trainingsleistungen waren jedoch von Anfang an gut. Wir haben uns nach den Rückschlägen allerdings noch besser als Team zusammengerauft und sind an der Herausforderung gewachsen. Das Vertrauen in uns selbst und den Mitspieler ist gewachsen. Zudem sind wir in einen Kreislauf gekommen: Unser Leistungsanstieg hat endlich zu Erfolgen geführt, die das Selbstvertrauen gestärkt haben. Daraus resultiert eine weitere Leistungssteigerung. Der 6:2-Lauf ist sicher schön, aber nur eine Momentaufnahme. Unser Ziel ist es, die nächsten Begegnungen auch zu gewinnen. Wir werden sehen, wie gefestigt wir nun sind, wie wir mit der Situation umgehen und ob wir das auf das Spielfeld bringen können, was wir begonnen haben.

Habt Ihr auch einen Weg gefunden, mit dem Druck besser umgehen zu können?

Ich kann da nur für mich sprechen. Ich meine, gut mit Druck umgehen zu können. Ich brauche ihn sogar. Druck wirkte bei mir immer schon leistungsfördernd – in allen Bereichen. Vielleicht hat die Erwartungshaltung nach der guten letzten Saison und der guten Saisonvorbereitung den ein oder anderen etwas gehemmt, allerdings muss man auch sehen, dass unser Programm zum Saisonstart richtig schwer war und wir bis jetzt nur drei Heimspiele absolvieren durften, jedoch schon fünfmal in fremden Hallen bei durchweg heimstarken Gegnern antreten mussten.

Die vergangene Spielzeit war Deine erste in der 3. Liga, die Eingewöhnung lief aber sehr rasch bei Dir und es lief sehr schnell sehr gut. Was war neu für Dich in der 3. Liga?

Den hohen Trainingsaufwand und die hohe Intensität in jeder Übungseinheit war ich schon aus Hüttenberg gewohnt. Ich habe dort in der Vorbereitung bis zu zehnmal in der Woche trainiert. Gespielt habe ich hingegen in der zweiten Mannschaft. Im Vergleich dazu sind die Fahrten zu den Auswärtsspielen jetzt deutlich weiter, die Gegner bedeutend professioneller und die körperlichen Voraussetzungen der Gegenspieler sind ganz andere. Im Prinzip ist es genau so, wie ich es mir erhofft und erwartet habe. Die Zuschauerkulissen waren etwas ganz neues für mich. Zudem spürt man die Wertschätzung für eine erste Mannschaft, für die viel getan wird und die viele Zuschauer im Rücken spüren darf.

Im Vergleich zur letzten Saison: Ist die 3. Liga noch stärker geworden?

Sie ist ausgeglichener, in der Spitze dagegen wohl etwas schwächer. Coburg und Bad Neustadt haben in der letzten Saison einen super Handball gespielt, diese Überlegenheit sehe ich in dieser Saison bei keinem Team. Es gibt eine sehr ausgeglichene Spitze, die bis ins Mittelfeld reicht. So haben wir als Zwölfter beim Tabellendritten gewonnen, so wie auch Tabellenführer Leutershausen in Pforzheim sehr deutlich verloren hat. Man merkt auch, dass immer mehr junge deutsche Spieler in der 3. Liga auflaufen und dass auf sie gesetzt wird. Das macht diese Liga für mich sehr interessant.

Du gehörst mit 22 Jahren zu denjenigen Spielern, die besonders viel Verantwortung übernehmen. Du bist mit 43 Treffern Erster in der mannschaftsinternen Torschützenliste, mit 21 verwandelten Siebenmetern bei 25 Versuchen einer der besten Siebenmeterschützen der Liga und hast aktuell eine der allerbesten Trefferquoten. Woher nimmst Du die innere Ruhe und was geht Dir beim Weg an die Siebenmetermarke durch den Kopf?

Gegen Ende der letzten Saison (24. Spieltag, d. Red) habe ich bei unserem Auswärtssieg in Rödelsee meinen ersten Siebenmeter meiner Handballkarriere als erster, verantwortlicher Siebenmeterschütze geworfen. Seitdem stehe ich als Erster in der Verantwortung. Ich mache mir nie große Gedanken darüber, wer mir gegenübersteht. Es ist ein geiles Gefühl anzutreten, ich brauche vielleicht auch Verantwortung. Ich sehe es als meine Aufgabe, diese Verantwortung zu übernehmen und freue mich über jeden Siebenmeter, den ich werfen darf. Dani (HSG-Cheftrainer Daniel Eblen, d. Red.) schneidet immer ein Video zusammen, wie sich die Torhüter des Gegners bewegen. Das versuche ich mir einzuprägen. Zudem habe ich ein gewisses Repertoire an Wurfvarianten. Mit Max Folchert trainiere ich zwei- bis dreimal die Woche nach dem Training Siebenmeter. Wir sprechen viel und tauschen uns über Varianten und Winkel aus. Das hilft uns beiden, denn er hält in den Spielen sehr viele Siebenmeter. Er kennt mich gut, das simuliert daher auch gut, dass sich die anderen Torhüter meine Siebenmeter ebenfalls auf Video anschauen.

Und wie entscheidet Du wie Du wirfst?

(lacht) Ich möchte nicht zu viel verraten, aber ich schaue, wo der Torwart steht und richte meine Wurfauswahl danach, spiele die Optionen durch. Danach denke ich nicht mehr nach. Ich bin völlig fokussiert, egal ob es der achte oder der erste Siebenmeter ist. Es gehört Intuition und Glück dazu. Ich freue mich immer, die Chance zu haben, einen unserer Angriffe erfolgreich abschließen zu können. Durch unser gutes Spiel an den Kreis bekommen wir relativ viele Siebenmeter zugesprochen. Diese Tore brauchen wir auch. Den alles entscheidenden Wurf aus sieben Metern hatte ich noch nicht, aber ich fühle mich mittlerweile auch dafür bereit.

Apropos Erfolge: Am Samstag um 20 Uhr kommt der TVG Großsachen in die Schänzle-Sporthalle…

…und vor diesem Spiel müssen wir alles was in der Drittliga-Historie gegen diesen Gegner war, alle Statistiken und unseren Kantersieg in der Vorbereitung gegen Großsachsen vergessen. Es zählt schlicht nicht mehr. Alleine die Mannschaftsaufstellungen werden ganz anders aussehen, die Karten werden ganz neu gemischt. Wir wissen, was auf uns zukommt und werden gut eingestellt sein. Das verlorene Heimspiel gegen Balingen soll unser einziger Ausrutscher in eigener Halle bleiben. Mit einer erneut so guten Abwehrarbeit wie in Hochdorf bin ich sehr positiv gestimmt.

Auf was wird es besonders ankommen, um diese stark besetzte Mannschaft bezwingen zu können?

Ganz allgemein müssen wir unser Tempospiel weiter verbessern, vor allem die erste Welle. Da sind wir meiner Meinung nach noch nicht erfolgreich genug. Zudem müssen wir in der Defensive wieder gut stehen, dann hält Max Folchert die Bälle. Es wird wichtig sein, sich auf unsere Stärken zu besinnen, kontrolliert und geduldig zu spielen, unser Spiel im Angriff durchzuziehen und Rückschläge im Team anzunehmen. Jeder muss zu seinen Fehlern und hinter seinen Entscheidungen stehen und wir müssen uns gegenseitig Sicherheit geben.

Wie wichtig ist die Partie angesichts der sehr engen Tabellensituation? Mit einem Sieg wäre ein Sprung von Platz zwölf auf acht möglich und der Anschluss an das breite Feld der Verfolger der beiden Spitzenteams könnte hergestellt werden.

Ein junges Team braucht immer Siege, gerade um in Ruhe weiterarbeiten zu können. Die Begegnung ist schon wichtig, wir wollen unser Punktverhältnis ausgleichen und nach oben. Da, wo wir momentan stehen, gehören wir nicht hin. Die Tabellensituation nervt uns selbst am meisten. Wir wollen da schnellstmöglich raus.

Nach einem Jahr im Südbadischen: Was hat der Hesse Paul Kaletsch am meisten an Konstanz und der HSG zu schätzen gelernt und wo liegen die Unterschiede zu Deiner Heimat?

Die Region hier ist fantastisch. Ich wohne zentral in der wunderschönen Altstadt und es gibt hier eine schöne Kaffeekultur. Der See ist natürlich der Hammer, auch das internationale Flair mit der Schweiz ist toll. Allerdings waren mir die Begriffe Kehrwoche und Sperrstunde völlig neu, ebenso wie die Probleme hier an frisches Mett zu kommen und dass man gerade im Paradies derart schnell einen Strafzettel bekommt. Mit dem hiesigen Dialekt liege ich nach wie vor im Clinch, da musste ich mir schon des Öfteren etwas anhören. Auch im Team gibt es Diskussionen zur richtigen Satzstellung etc., aber ich finde es gut, wenn sich die unterschiedlichen „Kulturen“ treffen. Die Unterschiede machen es erst richtig gut und interessant. Mit der HSG sind alle Heimspiele absolute Highlights, das ist das, was man sich als Sportler wünscht. Ich kann nur jeden ermutigen, einmal in die Halle zu kommen, die Spiele sind mittlerweile Events mit oft hochspannendem Hauptact. Die Heimat gibt Halt, ich weiß, wo ich herkomme, wo meine Wurzeln und viele Freunde sind. Dort habe ich viel erlebt und wichtige Phasen wie die Schulzeit verbracht. Ich kenne dort viele Ecken, bin aber auch offen für anderes.

Wie würdest Du „den Hessen“ beschreiben?

Sehr direkt, unkompliziert und freundlich. Ich habe hier schon den ein oder anderen verdutzten Blick erlebt, wenn ich meine Meinung geradeheraus gesagt habe.

Zurück zum Sport. Nach Deinen Highlights muss man nicht lange fragen, oder? Zweifellos das Spiel in der „Schänzle-Hölle“ gegen Coburg mit Deinem 19:18-Siegtreffer in allerletzter Sekunde mit einem Kempa-Trick und natürlich der Superball.

Ganz bestimmt. Es hört sich vielleicht nach einer Floskel an, aber für mich ist jeder Sieg ein Highlight. Es kann ja jeder sehen, dass ich jedes Tor lautstark und mit vielen Emotionen feiere. Für diese Momente spielt man. Ich bin mir bewusst, dass es ein Privileg ist, hier spielen zu dürfen und auch einen Kanal für diese Emotionen zu haben. Die Zuschauerkulisse und die Schänzlehalle in Konstanz sind etwas ganz besonderes. Wir können uns immer über zahlreiche, laustarke Unterstützung freuen. Schon als Zuschauer habe ich das besonders wahrgenommen, als Spieler auf dem Parkett ist das noch einmal eine ganz andere Hausnummer. Jedes Tor, jede gelungene Abwehraktion und jede gute Aktion eines Mitspielers sind hier ganz besondere Momente, die ich einfach genieße.

Was sind Deine kurz- und langfristigen Ziele? „Immer ans Limit“, wie schon Dein Motto für diese Saison lautet?

In der Abwehr gut mit Mathias Riedel stehen, so viele Siege wie möglich holen und unsere Heimstärke weiter ausbauen, sodass unsere Schänzlehalle zur uneinnehmbaren Festung wird. Ich möchte dem Team überall helfen, wo es geht und Verantwortung übernehmen und das in mich gesetzte Vertrauen zurückzahlen. Einmal in der 2. Bundesliga zu spielen, wenn es mit dem Studium vereinbar ist, ist sicher ein Traum – allerdings auch Zukunftsmusik. Davor steht viel harte Arbeit. Vielleicht wird die 2. Bundesliga auch schneller wieder zweigleisig, als man denkt. Es geht dort mit vielen Traditionsmannschaften und ehemaligen Erstligisten bergab. Zudem bekommt der Nachwuchs dort viel zu wenige Einsatzzeiten. Viele verkennen die Fehlentwicklung. Noch so ein Traum: Einmal ein Pflichtspiel in Hüttenberg absolvieren. Vielleicht klappt es ja im DHB-Pokal, wenn wir mindestens Sechter in der 3. Liga werden.

Max Folchert hat sich nicht nur zu seinen Qualitäten als Fußballer, sondern auch zu Deinen geäußert. Jetzt hast Du Gelegenheit, Deine Sicht der Dinge darzulegen.

Zunächst muss ich feststellen, dass ich schon lange keinen Treffer mehr von Max im Training gesehen habe, er hat sich in die Abwehr zurückgezogen. Sicher ist er auch kein Cristiano Ronaldo. (grinst) Womit er aber recht hat: Ich ähnele in meinem Spiel schon Zlatan Ibrahimovic und erziele viele Tore. Ich bin eindeutig der bessere Fußballer, technisch versiert und enorm kampfstark. Wenn ich in „Team Alt“ – tatsächlich, mit 22 Jahren! – auf Max in „Team Jung“ treffe, zittert er schon in der Abwehr vor mir. Max wäre auch im Fußball ein guter Torhüter, hat als Stürmer aber eine große Abschlussschwäche.

Was fasziniert Dich an Zlatan Ibrahimovic und Deiner großen Liebe Eintracht Frankfurt?

Er hat aus extrem wenig Mitteln im Ghetto sehr viel gemacht. Er ist seinen Weg gegangen und hat nie gezweifelt. Ich mag Menschen mit Ecken und Kanten, die sind einfach interessanter. Mein Opa war Ordner und Dauerkarteninhaber bei der Eintracht und fährt immer noch manchmal zu den Heimspielen. Er kennt dort viele und hat das Eintracht-Virus an meinen Vater weitergegeben, der an mich, sodass ich heute auch eine Dauerkarte habe. Es ist ein Verein mit Fankultur und ehrlicher Arbeit, wo Fussball gelebt wird.

Du hast bis zum zwölften Lebensjahr Fussball und Handball gespielt. Was hat Handball, was das Spiel mit dem größeren Ball nicht hat?

Im Handballverein hat es mir persönlich von Anfang an besser gefallen. Ich bin meinen Eltern, einem ehemaligen Fussballer und einer eh