Nachhaltig nach vorne gerichtet - wie aus Talenten Europameister wurden
09.02.2016 Trainer

Nachhaltig nach vorne gerichtet - wie aus Talenten Europameister wurden

09.02.2016 · Slider, Home, Nationalteams, Männer Nationalteam, Trainer · Von: BP

Nachhaltig nach vorne gerichtet - wie aus Talenten Europameister wurden

Finn Lemke, Julius Kühn, Fabian Wiede, Simon Ernst, Jannik Kohlbacher - fünf frisch gebackene Europameister, die eines gemeinsam haben: Sie gehören zum aktuellen Elitekader des Deutschen Handballbunds, der vor drei Jahren ins Leben gerufen wurde. Rechnet man noch den verletzten Paul Drux dazu, stammt über ein Drittel des aktuellen Kaders von Bundestrainer Dagur Sigurdsson aus diesem Eliteförderkonzept.

„Das ist sensationell, aber wir haben in Dagur auch einen Trainer, der konsequent auf junge Spieler setzt und konsequent das Risiko eingegangen ist“, sagt DHB-Sportdirektor Wolfgang Sommerfeld, der „Vater“ des Eliteförderkonzepts: „Das geht mir runter wie Öl, dass wir mit der jüngsten Mannschaft aller EM-Teilnehmer Europameister geworden sind.“ Aber auch Sommerfeld mahnt, dass „dieser Titel dann nur eine Momentaufnahme ist, wenn man die Nachwuchsförderung nicht konsequent vorantreibt“.

Im Herbst wurde auf der DHB-Trainertagung dieses Konzept für den Olympiazyklus bis 2020 festgeschrieben. Darin verankert sind verschiedene „Missionen“, die nun teilweise schon mit dem EM-Titel von Krakau erfüllt wurden. Eine dieser Kernthesen lautet: Aus jedem Nachwuchsjahrgang sollen 15 Bundesligaspieler und zwei A-Nationalspieler entwachsen. „Und dafür sind beim Blick auf unsere aktuelle Strategie die Weichen gestellt“, sagt Sommerfeld, der betont, dass die Erfolge der Nachwuchsarbeit auf die sehr fruchtbare Zusammenarbeit von DHB mit Bundesligavereinen und Landesverbänden zurückzuführen ist: „Alle ziehen an einem Strang, weil alle Beteiligten den Mehrwert dieses Konzepts erkannt haben.“

Das sieht Axel Kromer, Co-Trainer von Dagur Sigurdsson und Nachwuchskoordinator des DHB, ähnlich: „Um einen solchen Titel zu gewinnen, brauchst du das nötige individuelle Potenzial. Und dieses Potenzial entwickelt man nicht erst bei den Männern, sondern das ist eine langfristige Entwicklung, die im Nachwuchsbereich ansetzt - und da arbeiten alle zusammen, da sind wir auf einem sehr guten Weg.“

Vor allem der Weg, mehr auf die individuellen Qualitäten schon bei Sichtungen, dann aber auch der Talentförderung zu setzen, habe sich bei der EM gezeigt: „Ich habe vorher noch nie gesehen, dass eine deutsche Mannschaft drei Abwehrsysteme beherrscht. Das hat in Polen toll funktioniert - und das liegt auch in der besseren individuellen Schulung der Spieler begründet“, sagt der Sportdirektor. Zudem hätten die jungen Spieler eine herausragende mentale Stärke gezeigt: „Die sind richtig erwachsen geworden, das hatte ich vorher schon bei Nachwuchs-Welt- und Europameisterschaften erlebt, dass bei Halbfinals und Endspiele eine unglaublich schnelle Entwicklung einsetzt“, sagt der langjährige Nachwuchstrainer.

Kromer, der ebenfalls lange Jahre im Nachwuchsbereich des DHB tätig ist, sieht durch den EM-Erfolg die Strategie bestätigt: „Wenn man sich die Erfolge im Nachwuchsbereich und jetzt auch den Übergang in den Seniorenbereich anschaut, kann unser System nicht so schlecht sein. Wir als DHB können nur die Rahmenbedingungen für die Ausbildung der Talente vorgeben und festlegen, welche Ziele in welchen Altersstufen erreicht werden müssen. Andere müssen dann in diesen Strukturen arbeiten. Vielleicht kennen wir den B-Jugend-Trainer heute noch gar nicht, dessen Spieler 2020 mit Deutschland Olympiasieger werden will. Aber er weiß dank unserer Rahmenbedingungen, was er morgen in seinen zwei Stunden Training mit dem Talent machen soll.“

Für Sommerfeld ist das im Herbst verfeinerte Konzept schon langfristig in die Zukunft gerichtet, Nachhaltigkeit ist für den DHB-Sportdirektor das große Stichwort: „In diesem Punkt wurde nach dem WM-Titel 2007 zu wenig gemacht.“ Teil des neuen Konzepts sind zum Beispiel durch den DOSB mischfinanzierte Trainerstellen, die die Landesverbände und Nachwuchszentren der HBL unterstützen sollen, damit die Qualität der Trainer vor Ort gesteigert werden kann  sowie ein neuer A-Trainer-Schein „Spitzen-Nachwuchs-Trainer“, der 2017 startet oder  exakte Aufgabenprofile für die Trainer in den HBL-Nachwuchszentren und Landestrainer. Zudem soll der Länderpokal reformiert werden, um weniger Talente dann aber gezielter zu fördern, sowie die Basisarbeit an Schulen und der Lehrerausbildung intensiviert werden. Sommerfeld: „Mit dem EM-Titel im Rücken haben wir gerade eine Riesen-Aufmerksamkeit für den Handball, die wir ausnützen müssen.“

Die aktuelle A-Mannschaft ist jung, haben dort nachrückende Talente aus dem Eliteförderkonzept überhaupt eine Chance? „Auf jeden Fall“, betont Axel Kromer: „Rune Dahmke und Jannik Kohlbacher hätten vor einem Jahr niemals ahnen können, dass sie heute Europameister sind, Erik Schmidt wusste vor 18 Monaten sicher noch nicht, dass er zum heutigen Zeitpunkt schon eine WM und eine EM gespielt hat. Handball ist ein so schnelllebiges Geschäft, da kann so viel passieren, siehe die sieben Ausfälle vor oder während der EM. Zudem sind 2020 vielleicht ganz andere Fähigkeiten gefragt, für die wir dann auch wieder hochausgebildete andere Spieler benötigen.“