„Einbinden statt ausgrenzen“: Essener Handballteam lebt Integration
08.05.2014 Der DHB

„Einbinden statt ausgrenzen“: Essener Handballteam lebt Integration

08.05.2014 · Home, Verband · Von: Julia Nikoleit

„Einbinden statt ausgrenzen“: Essener Handballteam lebt Integration

Die Handballer des ETB Schwarz-Weiß Essen haben eine ganz besondere Mannschaft: Sie bilden das erste Team in Deutschland, das mit ausschließlich geistig behinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen am regulären Spielbetrieb teilnimmt. Damit wurde die Mannschaft in den vergangenen Monaten bundesweit bekannt und zum Vorbild - eine Rolle, die der Verein auch annehmen möchte.

Es war ein Saisonabschluss, wie er besser nicht hatte sein können: Am letzten Spieltag holte die 5. Männermannschaft des ETB Schwarz-Weiß Essen vor heimischem Publikum mit dem 25:22 gegen den Tabellenführer Altendorf 09 III ihren ersten Saisonsieg. Für das Team, das sich ausschließlich aus Spielern mit geistiger Behinderung zusammensetzt, ein großartiger Erfolg. „Absolut enthusiastisch“ seien die Spieler danach gewesen, freute sich auch Abteilungsleiter Stefan Marschner über den Coup.

Dieser Sieg war für die ETB-Mannschaft die angemessene Krönung einer außergewöhnlichen Saison. Im September 2013 wurde das Team in den offiziellen Spielbetrieb des Handballkreises Essen integriert und trat fortan als 5. Männermannschaft des ETB mit dem Zusatz „Special Olympics“ in der 2. Kreisklasse an. „Vor der Saison hatten wir noch keine so rechte Vorstellung davon, was uns mit der Integration einer Mannschaft mit geistig Behinderten in den regulären Meisterschaftsbetrieb erwarten würde“, erinnert sich Marschner. „Mittlerweile sind wir vom Erfolg geradezu überwältigt. Es ist nicht nur die sportliche Entwicklung deutlich zu spüren, auch die Hilfsbereitschaft und Akzeptanz von außen sind bemerkenswert.“

Seit 2008 gibt es das Essener Team bereits, die Teilnahme am Spielbetrieb war der nächste Schritt in der Erfolgsgeschichte. „Wir wollen mit diesem Projekt einen dauerhaften Beitrag zur Integration geistig behinderter Sportler in den regulären Sport- bzw. Ligabetrieb erreichen“, erklärt Marschner. „Einbinden statt ausgrenzen, um gleichberechtigte, vollwertige Partizipation an sportlichen und damit auch sozialen Aktivitäten zu ermöglichen - das ist der Leitgedanke unserer Idee, die ,Special Olympics’ in den offiziellen Wettkampfsport zu integrieren.“ 

Es ist ein Gedanke, der Erfolg hat. Zwar verlor das Team bis zu jenem letzten Saisonspiel alle Partien, doch um die reinen Ergebnisse ging es ja auch nie. „Jedes Spiel, in dem die Jungs auflaufen, haben sie schon gewonnen“, formulierte es Trainer Klaus Laß, der die Mannschaft gemeinsam mit Franz Schröder betreut. Dabei spielt es für den Verein keine Rolle, welche Behinderungen die eigenen Spieler eigentlich genau haben. „Wir wissen nur, dass die Jungs lernbehindert sind und die Gründe bei nicht wenigen in der Familie liegen“, so Marschner.

Der ETB versucht deshalb, den Spielern ein festes soziales Umfeld zu bieten. Die Mitgliedschaft im Verein ist beitragsfrei. Inzwischen wird die Mannschaft von einem eigenen Fanklub unterstützt, und Schröder und Laß haben immer ein offenes Ohr für ihre Jungs. „Die Trainer sind für uns wie Eltern“, hielt Torwart Christian Bauer gegenüber SAT1 fest, als der Fernsehsender im März über die Mannschaft berichtete. 

Nicht zuletzt dank des großen Medieninteresses von Zeitungen und TV-Sendern ist die Essener Mannschaft inzwischen bundesweit bekannt. „Ich bin sehr stolz, dass wir so weit gekommen sind“, freut sich Marschner. Das Projekt wurde unter anderem bei dem Wettbewerb „Sterne des Sports“ ausgezeichnet, mit der Teilnahme an den, von Special Olympics ausgerichteten, National Games Deutschland in Düsseldorf steht das nächste Highlight bereits unmittelbar bevor.

Auch die Meldung für die kommende Saison sei schon „definitiv beschlossen“, wie Marschner es ausdrückt. Den Beinamen Special Olympics wird die Mannschaft auch dann noch tragen. „Dieser Zusatz kam auf Wunsch der Mannschaft zustande. Wir wollen damit keinen Sonderstatus betonen, sondern respektieren lediglich ein Anliegen des Teams und das Selbstverständnis der Spieler“, erklärt Marschner. Diesen Beinamen offiziell eintragen zu lassen, sei bei der Meldung am aufwendigsten gewesen, sonst habe man „jede erdenkliche Unterstützung des Handballkreises bekommen“. 

Damit könnte der Essener Kreisverband zum Vorreiter auf Bundesebene werden. Denn auch im Deutschen Handballbund soll der „Unified Handball“ in der kommenden Legislaturperiode eine Rolle spielen. So hat die DHB-Jugendkommission die „Entwicklung und Durchführung eines inklusiven Handballspielbetriebes unter dem Dach des DHB“ in ihr Programm aufgenommen; andere inklusive Projekte und Mannschaften in Hamburg, Lübeck oder Flensburg sorgten in den vergangenen Monaten für Aufmerksamkeit.

Auch in Essen schaut man nicht nur auf sich, sondern hat das große Ganze im Blick. „Wenn es gelingt, dieses Vorhaben dauerhaft zu etablieren, könnte dies auch Vorbildcharakter für andere Projekte, ggf. auch in anderen Sportarten, haben“, umreißt Marschner die Ziele. Über Ostern kam es bereits zu einem ersten Erfahrungsaustausch mit der HSG Nordhorn-Lingen. Der Zweitligist plant ein ähnliches Projekt und bat in Essen um Unterstützung bei der Umsetzung. Beim ETB freut man sich darüber. „Wenn wir helfen können, tun wir das gerne“, verspricht Marschner. „Wichtig ist es vor allem, den Mut zu finden, so ein Projekt ins Leben zu rufen. Alles andere wächst dann aus der Praxis heraus.“ Wie gut das funktioniert, weiß niemand besser als die Essener selbst - der krönende Sieg zum Saisonabschluss war der beste Beweis dafür.