Das Wunder von Oslo - wie das erste gesamtdeutsche WM-Team 1993 Weltmeister wurde
23.11.2017 A-Nationalmannschaft Frauen

Das Wunder von Oslo - wie das erste gesamtdeutsche WM-Team 1993 Weltmeister wurde

23.11.2017 · Slider, Home, Nationalteams, Frauen Nationalteam, WM 2017 Frauen · Von: BP

Das Wunder von Oslo - wie das erste gesamtdeutsche WM-Team 1993 Weltmeister wurde

Es war der 5. Dezember 1993, der Tag, der mit einer der größten Überraschungen des internationalen Frauenhandballs endete. Der Tag, als in der norwegischen Hauptstadt Oslo Heldinnen geboren wurden - deutsche Heldinnen. Nach 70 denkwürdigen Minuten stand ein 22:21 auf der Anzeigentafel, aber nicht etwa für den großen Favoriten Dänemark um die damals beste Handballerin Anja Andersen, sondern für die deutsche Mannschaft, die erstmals bei einer WM als gesamtdeutsches Team antrat, einer von Trainer Lothar Doering zusammengestellten Mischung aus Ost und West.

Mit zwei Siegen gegen Schweden (17:15) und Angola (30:8) war das Team um Bianca Urbanke, Sibylle Gruner, Andrea Bölk (Mutter von Emily) & Co. in die WM gestartet, dann folgte im letzten Vorrundenspiel gegen die starken Rumäninnen der erste Rückschlag mit einer 21:24-Niederlage. Als Dritter, punktgleich mit Schweden und Rumänien, ging es in die Hauptrunde. Und um ein Haar hätte es gleich zum Auftakt der zweiten Turnierphase einen weiteren Dämpfer gegeben: Weil aber Torfrau Silke Adamik mit dem Schlusspfiff einen Siebenmeter abwehrte, zitterte sich die DHB-Auswahl zu einem 22:21-Sieg über Tschechien. „Dieser Erfolg hat uns in Schwung gebracht“, sagte „Bobby“ Gruner später.

Es folgte ein 24:12-Pflichtsieg gegen die USA - mit dem urplötzlich das Tor zum Finale wieder offenstand. Denn Österreich hatte sowohl Schweden als auch die stärker eingeschätzten Rumänien besiegt. So kam es im finalen Gruppenspiel gegen das Nachbarland zu einem echten „Finale“ um den Finaleinzug der beiden punktgleichen Teams (6:2). 1993 gab es keine Halbfinals, die Sieger der Hauptrundengruppe zogen direkt ins Endspiel ein. Und jene Partie gegen die Stars von Hypo Niederösterreich, denen ein Remis fürs Endspiel gereicht hätte, war „der Hammer“ - darin waren sich nachher alle Beteiligten einig. Schon zur Halbzeit, beim 9:4, deutete sich ein Sieg der Deutschen an, doch die zweite Hälfte wurde zu einer Demontage der Nachbarn. „Wir haben uns in einen niemals erwarteten Rausch gespielt“, sagt Doering. Sein Team kassierte nur noch sechs Gegentreffer, traf 16 Mal, das Endergebnis lautete 25:10.

Somit war der Finaleinzug geschafft - die armen Österreicherinnen, vor diesem Spiel Gruppenerster, rutschten auf Rang vier hinter den punktgleichen Teams aus Rumänien und Schweden ab, wurden am Ende Achter. Genau in jenem Platzierungsspiel um Rang sieben hätte die deutsche Auswahl im Falle einer Niederlage gestanden - Jubel und Tränen lagen verdammt nah beieinander.

In der Parallelgruppe konnte sich Gastgeber Norwegen trotz eines 28:23-Sieges im letzten Hauptrundenspiel gegen Dänemark nicht fürs Finale qualifizieren. Die punktgleichen Däninnen hatten das bessere Torverhältnis und profitierten von Norwegens 14:19 in der Hauptrunde gegen Russland - die einzige Niederlage des Gastgebers im gesamten WM-Turnier, das für Norwegen mit Bronze endete (20:19 im kleinen Finale gegen Rumänien). Die DHB-Auswahl ging als klarer Außenseiter ins Endspiel, die Halle in Oslo war zudem voll und ganz in dänischer Hand. „Wir kamen mit dieser Außenseiterrolle sehr gut zurecht, das war im Nachhinein perfekt“, sagt Doering.

Zur Pause stand es 8:8 - und die Dänen waren verwundert, dass die Deutschen mithalten konnten. Doch mit den Fans im Rücken wähnten sich die Skandinavier sicher, dass sie die Partie in Hälfte zwei locker entscheiden würden. Denkste! Die taktisch perfekt eingestellte DHB-Auswahl blieb immer auf Augenhöhe, ließ Dänemark nicht davonziehen. Kurz vor Schluss traf Gruner per Siebenmeter zum 17:17, den letzten dänischen Wurf wehrte Adamik ab - erstmals in der Geschichte von Frauen-Handball-Weltmeisterschaften musste eine Verlängerung über Gold und Silber entscheiden.

Führung Dänemark, Ausgleich Deutschland, Führung Dänemark, Ausgleich Deutschland - so ging es bis zum 21:21. Die Däninnen vergaben viele Chancen, während im DHB-Team Bianca Urbanke die Fäden in der Hand hielt. Sie war es auch, die sich einen dänischen Fehlpass angelte und zur ersten deutschen Führung in der Verlängerung zum 22:21 30 Sekunden vor Anpfiff traf. Als dann Adamik den letzten Wurf von Andersen entschärft hatte, war das Wunder von Oslo Realität geworden. Zum ersten (und bis heute einzigen) Mal hatte eine gesamtdeutsche Mannschaft nach drei Titeln für die DDR WM-Gold gewonnen. Ein Jahr später, bei der Neuauflage des WM-Finales gegen Dänemark im Endspiel der ersten Europameisterschaft, drehten die Skandinavierinnen den Spieß auf deutschem Boden um und gewannen 27:23.

Die deutsche Weltmeisterschaft-Mannschaft von 1993:
Sabine Adamik, Heike Axmann, Andrea Bölk, Eike Bram, Carola Ciszewski, Cordula David, Michaela Erler, Sybille Gruner, Karen Heinrich, Franziska Heinz, Heike Murrweiss, Gabriele Palme, Michaela Schanze, Bianca Urbanke, Birgit Wagner und Renate Zienkiewicz