Gerd Tschochohei - seit 25 Jahren an der Spitze des Bayerischen Handball-Verbandes
15.09.2013 Landesverbände

Gerd Tschochohei - seit 25 Jahren an der Spitze des Bayerischen Handball-Verbandes

15.09.2013 · Home, Verband, Landesverbände, Bayrischer HV · Von: PM

Gerd Tschochohei - seit 25 Jahren an der Spitze des Bayerischen Handball-Verbandes

„Ein Präsident ohne sein Team ist nicht einmal die Hälfte wert“ - sagt Gerd Tschochohei, der sechste Präsident des Bayerischen Handball-Verbandes. Vor seiner Wahl zum Präsidenten hat er sich als Bundesliga-Handballer, Herren-Bundesliga- und Frauen-Nationaltrainer einen Namen gemacht. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 1988 verfolgt er das Ziel, den BHV „mehr zu gestalten als zu verwalten“. Mit der von ihm angeregten und mit viel Engagement vorbereiteten Reform der Verbands- und Spielstruktur ist es ihm gelungen, den BHV stark und erfolgreich ins neue Jahrtausend zu führen.

Im Deutschen Handballbund ist er ein anerkannter Fachmann, dessen Meinung gesucht und geschätzt wird. Auch wirkt er seit langem in den unterschiedlichsten Positionen und Gremien  des Bayerischen Landes-Sportverbandes mit. Insgesamt blickt er auf eine 52 Jahre lange ehrenamtliche Tätigkeit im BHV auf Kreis-, Bezirks- und Landesebene zurück. Anlässlich seines 25-jährigen Dienstjubiläums als BHV-Präsident blickt Gerd Tschochohei, der an diesem Sonntag seinen 70. Geburtstag feierte, in einem Interview auf die damalige und heutige Situation im bayerischen Handball.

 

Können Sie sich noch erinnern, mit welchen Zielen und Vorstellungen Sie vor 25 Jahren als Präsident gestartet sind?
Tschochohei: Die beiden überragenden und nachhaltigen Ziele sind bis heute die Mitgliedergewinnung und der Mitgliedererhalt sowie eine vereinsorientierte gute Dienstleitung des Bayerischen Handball-Verbandes auf allen Ebenen. Dies war unter anderem nur durch den personellen Ausbau der Geschäftsstelle in München und die Schaffung von Bezirksgeschäftsstellen möglich.

Welche Ziele konnten Sie umsetzen?
Tschochohei: Zum einen die positive Entwicklung der Mitgliederzahlen: Von rund 85.000 Mitgliedern im Jahr 1984 konnten wir einen stetigen Zuwachs bis zum Höchststand von über 95.000 im Jahr 2009 verzeichnen. Gelingen konnte das unter anderem durch gezielte Aktionen wie zum Beispiel die Schulsportinitiative „Spielen mit Hand & Ball in der Grundschule“. Zum anderen erfolgreiche strukturelle Anpassungen bei der Kreis- und Bezirksreform im Jahr 1998 und die alters- und leistungsgerechte Optimierung des Spielbetriebs der Erwachsenen und der Jugendlichen. Um der demographischen Entwicklung gerecht zu werden, gibt es seit einem Jahr im Jugendbereich einen bezirksübergreifenden Spielbetrieb. Im Talentförderbereich des BHV konnte das Leistungsniveau durch neue Konzepte deutlich angehoben werden.

Was waren aus Ihrer Sicht weitere Meilensteine in der Verbandsarbeit?
Tschochohei: Die Trainingsqualität in den Vereinen hat sich durch eine explosionsartige Steigerung der Teilnehmerzahlen bei den Übungsleiter-Ausbildungen, die eng an die DHB-Rahmentrainingskonzeption angelehnt sind, enorm verbessert. Neben den zentralen Lehrgängen in Oberhaching gibt es eine Vielzahl an dezentralen Lehrgangsangeboten in allen Bezirken. An dieser Stelle bedanke ich mich bei den Vereinen und den BHV-Referenten für die gute Zusammenarbeit. Auch das neu eingeführte Jugendzertifikat - eine verkürzte Ausbildung für jugendliche Nachwuchstrainer und handballbegeisterte Eltern ohne eigene Vorerfahrung - fördert die Qualität an der Vereinsbasis. Dass dies nicht meine subjektive Sicht ist, zeigt ganz aktuell die Verleihung des DHB-Gütesiegels für ausgezeichnete Jugendarbeit an den SC Ichenhausen; zuvor ging das Gütesiegel auch schon an den TSV Ismaning und Haspo Bayreuth.

Wie stellt sich die aktuelle sportliche Situation im bayerischen Handballsport dar? Sind Sie zufrieden mit der Mitgliederentwicklung?
Tschochohei: Wie bereits erwähnt war unsere Mitgliederentwicklung lange Zeit sehr positiv. Im Moment müssen wir aufpassen, dass wir nicht in den allgemeinen Sog der negativen Sicht auf den Handball gezogen werden und müssen uns für die demographische Entwicklung rüsten.

Aushängeschild für den Verband sind die  BHV-Auswahlteams. Ein weiterer Gradmesser ist die Kaderzugehörigkeit zu den Jugendnationalmannschaften. Wie sehen Sie den Bereich der Talentförderung?
Tschochohei: Sowohl im weiblichen als auch im männlichen Bereich zählen wir zu den stärksten drei Landesverbänden in Deutschland. Beim Länderpokalfinale 2012 war die männliche Jugend von keinem anderen Verband zu schlagen. Mein Dank und meine Anerkennung dafür gehen an unseren Trainerstab um Christoph Kolodziej und die Bezirksauswahltrainer. Nominierungen in die Jugendnationalmannschaften können wir inzwischen in jedem Jahrgang verzeichnen; damit einher gehen leider auch Wechsel von bayerischen Spielerinnen und Spieler in die bekannten Handballinternate nach Leipzig, Blomberg-Lippe oder Berlin sowie zu Bundesligavereinen außerhalb Bayerns.

Weil Bayern nach dem Abstieg des Traditionsvereins Grosswallstadt „nur noch“ in der 2. und 3. Handballbundesliga vertreten ist?
Tschochohei: Mich stört generell die beschränkte Sicht auf die 1. Bundesliga als Indikator für eine sportliche Bewertung einer Verbandsleistung; die Teilnahme in diesen Ligen ist in erster Linie eine Finanzangelegenheit. Für die Entwicklung der BHV-Jugendauswahlspieler sind aber die Zweit- und Drittligisten wichtig. Und die sind in Nordbayern unter anderem mit dem HC Erlangen und der DJK Rimpar in der 2. Liga sowie weiteren starken Drittligamannschaften in ausreichender Zahl vorhanden; im Süden gibt es leider zu wenige. 

Was wird aus der Junioren-Akademie des TV Grosswallstadt nach dem Abstieg aus der 1. Liga?
Tschochohei: Natürlich bedauern wir den Abstieg des in der ewigen Rangliste drittplatzierten TV Grosswallstadt nach 44 Jahren Erstligazugehörigkeit. Wir hoffen aber, dass der TVG mit dem neuen Trainer Khalid Khan bald wieder in die Erfolgsspur zurückfindet. Die Fortführung des selbstständigen Vereins TVG Junioren Akademie hat damit nichts zu tun. Der Einsatz von Manfred Hofmann, die Unterstützung durch spezielle Sponsoren und nicht zuletzt die Hilfe durch das Bayerische Kultusministerium bürgen dafür.

In dieser Spielzeit wird die Jugendbundesliga auch für den weiblichen Bereich eingeführt - Ihre Einschätzung dazu. Welche Rolle können die bayerischen Mannschaften im männlichen Bereich spielen?
Tschochohei: Zuerst muss man feststellen, dass die weibliche A-Jugendbundesliga ein Zusatzangebot darstellt mit der Möglichkeit, an einem breiten Leistungsvergleich in dieser Altersklasse teilzunehmen. Dies finde ich erfreulich, weil damit eine annähernde Gleichbehandlung zum männlichen Bereich stattfindet. Wie sich dabei der ESV Regensburg und der TSV Ismaning schlagen werden, ist schwer einzuschätzen. In der männlichen Jugendbundesliga gehören die TVG Junioren und der HC Erlangen inzwischen zu den etablierten Teams; die Erringung der Deutschen Meisterschaft - der TVG hat dies 2010 bereits geschafft - wird aber zunehmend schwieriger.

Führungspersönlichkeit und Teamplayer - wie kann man das als Präsident an der Spitze eines Fachverbandes vereinbaren? 
Tschochohei: Als Präsident ist man der Leiter einer strategischen Gruppe, das heißt Chef der Analyse, des Zielsetzungsverfahrens, der Priorisierung, und man hat die Gesamtverantwortung. Die Präsidiumsmitglieder sind bestqualifizierte Fachleute für ihren Bereich mit der Gabe, über den Tellerrand zu schauen. Ein Präsident ohne sein Team ist nicht einmal die Hälfte wert.

Warum wollten Sie nicht (als Präsident) auf die ganz große DHB-Bühne, aber wie haben Sie dennoch auch auf Bundesebene in den Gremien und Arbeitsgruppen die Zukunft des Handballs mitgestaltet?
Tschochohei: Das Angebot gab es tatsächlich, es scheiterte aber zunächst an der beruflichen Unvereinbarkeit und später an der Einsicht, dass der Schwerpunkt nationale und internationale Repräsentanz nicht mein Faible ist. Dafür war mir das Einbringen in den DHB-Gremien immer sehr wichtig, weil die DHB-Entscheidungen direkt die Situation des BHV beeinflussen und die Mitgestaltung im Spitzenverband somit immer auch direkte Auswirkungen auf meine eigenen Handlungsoptionen in Bayern hatte.

Wie sehen Ihre Ziele für die nächsten Jahre aus?
Tschochohei: Mit Blick auf den nächsten Verbandstag im kommenden Jahr in Wildbad Kreuth unter dem Motto „Handball - attraktiv, erfolgreich, teamorientiert. Offensiv in die Zukunft“. gehört sicherlich die Bewältigung der beiden großen Herausforderungen „Rückgang der Kinderzahlen“ sowie die Ganztagsschule zu den wichtigsten Zielen. Im Bereich der Ganztagsbetreuung muss ein deutlicher Ausbau der Achse Schule und Verein erfolgen, unter anderem durch den Einsatz von FSJlern, Schülermentoren und Lehrerfortbildung. Zudem gehört ein neues Schiedsrichterkonzept zu den Arbeitsschwerpunkten sowie die Fortsetzung und Sicherstellung der bereits angelaufenen Aktivitäten und Projekte wie zum Beispiel Mitarbeiter-Qualifizierung, Fair-Play am Spielfeldrand und Talentfördermaßnahmen.

Auch im BLSV waren und sind Sie in verschiedenen Bereichen aktiv. Sie waren vier Jahre lang Vorsitzender des Sportbeirates und Mitglied im Präsidium und sind seit 2000 Mitglied im Landesleistungsausschuss. Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit dem Dachverband?
Tschochohei: Es gibt das Motto „Wir sind ein BLSV“, das leider von vielen nicht so gesehen wird. Zwischen der BLSV-Hauptschiene und den Sportfachverbänden gibt es deutliche Diskrepanzen, die es auszuräumen gilt. Die Stellung der Sportfachverbände muss ausgebaut werden - der aktive Sportler ist Mittelpunkt unseres Handelns!

Stichwort  „Ehrenamt“: Wie kann man - insbesondere auch junge Leute - zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit motivieren? 
Tschochohei: Jugendliche werden dann zur Mitwirkung bereit sein, wenn wir ihnen etwas zutrauen und sie dies auch merken. Und wenn wir die ihnen eigene Kreativität schätzen, und nicht nur mit dem Argument der nötigen Erfahrung Vermeidungsstrategie betreiben. Deshalb ist die Einbindung der Jugendsprecher bei uns im Verband vorbildlich; sie werden bei zahlreichen Events und Veranstaltungen eingebunden und durch Seminare motiviert und gefördert. Wohin das im besten Fall führen kann, zeigt das Beispiel unseres Vizepräsidenten Jugend, Daniel Bauer. Er ist ehemaliger Jugendsprecher und mit 25 Jahren der jüngste Vizepräsident im Deutschen Handballbund.

Was hat Sie persönlich 52 Jahre lang motiviert?
Tschochohei: An dieser Stelle zitiere ich gerne den Spruch: „Frage nicht die Gesellschaft, was sie dir gibt, sondern was du ihr gibst.“ Das Erleben, das andere meinen sportlichen Weg durch ihr Engagement ermöglicht haben, erfüllt mich dauerhaft mit Dankbarkeit. Und ehrenamtliche Betätigung bringt einem selbst auch enorme Befriedigung.