Mit Gruppendynamik zum Silbermärchen
Wer irgendwann im Laufe der beiden zurückliegenden Wochen dachte, ein Turnier kann doch unmöglich so viele Gänsehautmomente bereithalten, der sah sich bei der U17-Europameisterschaft weiblich eines Besseren belehrt. Bei ihrem ersten großen internationalen Turnier erlebte die deutsche Nationalmannschaft der Jahrgänge 2004 und jünger in Montenegro ein Silbermärchen mit vielen (positiven) Emotionen.
Mittwochabend, zweites und letztes Hauptrundenspiel: Die DHB-Auswahl verliert gegen Ungarn (24:31) und befürchtet, dass die Chance auf den Halbfinal-Einzug dahin sei. Als die Spielerinnen zwei Stunden später im Hotel den norwegischen Sieg gegen Rumänien und ihren Einzug in die Vorschlussrunde vernehmen, kennen die Emotionen keine Grenzen mehr. „Der Jubel in den Zimmern war deutlich zu hören“, erinnert sich Bundestrainer Gino Smits. Es sind diese Momente, die eine Mannschaft zusammenschweißen und noch einmal neue Kräfte freisetzen. Genauso das Halbfinale gegen Russland zwei Tage später: Deutschland liegt fast über die komplette Spielzeit zurück, lässt sich aber nicht abschütteln und dreht in der Verlängerung das Spiel (34:32). Das Märchen von Podgorica erlebt ein nächstes finales Kapitel im letzten Spiel des Turniers.
Dass Titelverteidiger Ungarn im Endspiel zu stark ist und mit 25:19 gewinnt, erkennen das Trainerteam mit Smits, Sybille Gruner und Wieland Schmidt sowie ihre Spielerinnen neidlos an. „Ungarn ist der verdiente Europameister, und wir sind unheimlich stolz auf unsere Mannschaft. Der Gewinn der Silbermedaille ist ein großartiger Erfolg“, resümiert Smits. Nach Medaillen- und Pokalübergabe bei der Siegerehrung erlebt das Team bei der Ankunft am Dortmunder Flughafen einen grandiosen Empfang, den der Nachwuchs so bislang nur von den „Großen“ kannte.
Nach der langen Corona-Pause und in Betracht der Tatsache, dass man über die gegnerischen Qualitäten im Vorfeld des Turniers im montenegrinischen Podgorica nicht sonderlich viel wusste, fielen Prognosen schwer. Nach sieben Partien auf Top-Level hat die deutsche U17 bewiesen, dass sie mit dem aktuellen Leistungsstand zur europäischen Spitze zählt. „Wir hoffen jetzt natürlich darauf, dass die Weiterentwicklung anhält“, sieht Gino Smits den Finaleinzug auch als zusätzlichen Ansporn für die Zukunft. Die hält für das Team in jedem Fall eine weitere internationale Herausforderung bereit: Vom 3. bis zum 14. August 2022 werden die DHB-Talente der Jahrgänge 2004 und jünger an der U18-Weltmeisterschaft in Georgien teilnehmen.
Die Silbermedaille in Montenegro ist auch das Ergebnis systematischer Vorarbeit, die langfristig wirken soll: DHB-Talentcoach Carsten Klavehn und Co-Trainerin Zuzana Porvaznikova haben die Talente 2019 in die DHB-Förderung aufgenommen und als jüngere Jahrgänge auf erste internationale Aufgaben vorbereitet. Smits, Gruner und Schmidt setzten den Weg nun fort. „Wir entwickeln Spielerinnen mit Potenzial, die auch als Team erfolgreich sind“, sagt Chef-Bundestrainer Nachwuchs Jochen Beppler. „Es freut mich für alle Beteiligten auch in den Vereinen, dass unser Ansatz aufgeht. So konsequent müssen wir weitermachen, um davon perspektivisch auch in der A-Nationalmannschaft profitieren zu können.“
Basis für das aktuell erfolgreiche Turnier war ein starkes Kollektiv. „Die Stimmung sowie die Gruppendynamik auf und neben dem Spielfeld waren eine unserer großen Stärken. Wir haben uns als tolle Einheit präsentiert, in der jeder für den anderen gekämpft hat. Auf vielen Positionen haben unsere Spielerinnen konstant geliefert. Darauf gilt es in der nächsten Zeit aufzubauen“, sagt Smits. Zudem stellte die DHB-Auswahl mit Viola Leuchter die Torschützenkönigin des Turniers. Die Leverkusenerin traf in sieben Partien 55 Mal ins gegnerische Tor. Zudem wurde die Rückraum-Rechte ins All-Star-Team berufen. Smits: „Wir sind natürlich stolz darauf, dass eine unserer Spielerinnen es in die Top-Formation des Turniers geschafft hat. Violas Tore haben uns geholfen, aber wir waren nicht abhängig von ihr. Das hat unsere Mannschaft stark gemacht.“ (RW)
Das deutsche Silber-Team: Sarah Hübner, Marie Weiss – Pia Terfloth (10 Turniertore), Maja Schönefeld (1), Paula Trawczynski (3), Magdalena Probst (6), Merja Wohlfeil (3), Nieke Kühne (49), Matilda Ehlert (21), Gianna Bianco (4), Lotta Röpcke (18), Vanessa Huth (1), Leoni Baßiner (16), Merle Albers (5), Viola Leuchter (55), Ariane Pfundstein (9). Trainer: Gino Smits, Co-Trainerin: Sybille Gruner, Torwarttrainer: Wieland Schmidt.