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Dank einer Top-Bilanz zum Saisonfinale hat Aufsteiger Soester TV den Klassenerhalt geschafft

18.07.2015
18.07.2015 · 3. Liga, Männer 3. Liga, Staffel West · Von: aha

Dank einer Top-Bilanz zum Saisonfinale hat Aufsteiger Soester TV den Klassenerhalt geschafft

Westfalenmeister 2014 – und gar nicht schlecht aufgestellt für die 3. Liga. Doch dann erwischte es den Soester TV knüppeldick, die Verletztenliste wurde immer länger. Hinzu kam auch die schreckliche Nachricht, dass Abteilungsleiter Bernhard Müller am 21. Februar in Südafrika tödlich mit dem Motorrad verunglückte. Für die meisten Experten war klar, dass in der Staffel West neben der HSG VfR/Eintracht Wiesbaden und dem Soester TV nur noch ein dritter Absteiger gesucht werden muss. Doch dann legte die Mannschaft von Trainer Dirk Lohse einen irren Endspurt hin und schaffte mit 12:2 beziehungsweise 10:0 Punkten in Serie noch den Klassenerhalt. Wir haben mit dem 46-jährigen STV-Coach zurückgeblickt – und mit ihm vorausgeschaut.

 

Als 23 Spiele in der vergangenen Saison absolviert waren, hatte der Soester TV gerade mal zehn Punkte. Und war eigentlich schon abgestiegen?

Dirk Lohse: Ja, da waren wir schon mit anderthalb Beinen zurück in der Oberliga. Wobei das gerade in dieser Zeit wirklich nicht unsere Hauptsorge war. Da ging es wirklich ums Ganze, wie es überhaupt mit dem Handball in Soest weitergeht. Zunächst waren da die finanziellen Sorgen rund um den Mindestlohn, dann ging es darum, mit den Spielern über die in jeder Hinsicht ungewisse nächste Saison zu sprechen, und Bernhards Unglück hat dann alles Sportliche und finanzielle in den Schatten gestellt. Was das rein Sportliche anging, so wussten wir, dass es eine große Herausforderung sein würde, ohne externe Neue in der 3. Liga zu bestehen. Aber so wie dann alles lief, mit den vielen Verletzten, war unsere Mannschaft auch nicht mehr so stark wie die Aufstiegstruppe. Kevin Bekel und Niko Thomanek waren mit ihren Kreuzbandrissen komplett raus, Dirk Hartmann und Tobias Rückert quälten sich mit vielen kleineren Verletzungen herum, mit Axel Loer fiel unser stärkster Abwehrspieler zwei Drittel der Saison aus, und Dennis Zielony fehlte komplett bis März. Das war in der Summe einfach nicht zu kompensieren. Das wussten zwar alle und konnten auch die Rolle, die wir in der Liga lange eingenommen haben, realistisch einordnen. Aber es hat uns furchtbar gefuchst, weil wir uns so auf dieses Jahr gefreut hatten und eben nicht sang- und klanglos wieder runtergehen wollten.

Hat sich die Mannschaft zum Saisonfinale in einen Rausch gespielt?

Dirk Lohse: Von einem Rauschzustand waren wir meilenweit entfernt, auch noch als wir am Ende die Spiele gewonnen haben. Aber wir sind sicherer und selbstbewusster geworden. Die Jungs haben trotz der der fast aussichtslosen Lage nie aufgehört, intensiv zu arbeiten, und da muss ich der ganzen Mannschaft ein Riesenkompliment machen. Keiner hat zu irgendeinem Zeitpunkt der Saison den Kopf hängen lassen, alle haben sich um die Stimmung bemüht, auch und gerade wenn es besonders düster aussah. Wir haben uns zu Beginn der Rückserie mit absoluten Rumpfmannschaften gegen Gladbeck und Wiesbaden ein paar wichtige Punkte erkämpft, die waren die Basis, sonst wäre der Rückstand zu groß geworden. Ohne Frage hatten wir dann auch ein paarmal das nötige Glück, als wir gegen Duisburg und Gummersbach zu Hause in dramatischen Schlussphasen mit einem Tor gewonnen haben oder in Minden mit Axel diesen Schlusspunkt gesetzt haben. Aber wir haben da vorher auch sieben Tore Rückstand umgebogen, und wir haben Mannschaften wie Leichlingen und Krefeld geschlagen, als wir es mussten und sich diese sicher nicht in Soest blamieren wollten. Der Spielplan mit machbaren Heimspielen am Ende und unserem fantastischen Publikum im Rücken war ein echtes Pfund. Im Rausch waren wir dann aber beim Finale in Zweibrücken, als keiner von uns mehr daran gezweifelt hat, dass wir auch dieses letzte Spiel gewinnen würden. 

 

Den TSV GWD Minden II hatten Sie trotz der erheblichen Personalprobleme auch schon in der Hinrunde geschlagen. Sogar mit 33:25. Lässt sich daraus ableiten, dass es vor diesem fulminanten Schlussspurt nicht nur zehn, sondern durchaus ein paar Punkte mehr hätten sein können?

Dirk Lohse: Ein paar mehr hätten es in der Anfangsphase der Saison sein können, als wir gegen Gladbeck und Neuss klar geführt haben und dann an unseren eigenen Nerven und dummen Aktionen gescheitert sind. Aber das war echtes Lehrgeld, das wir als Neuling zahlen mussten. Die anderen sind da cool geblieben und haben ihren Stiefel heruntergespielt. Wir haben in den ersten Spielen gerade dann gezittert, wenn wir selbst geführt haben. Ansonsten waren in der Hinserie nicht viele Spiele dabei, in denen wir Punkte liegen gelassen haben, da wurden uns gerade von den Spitzenteams noch oft genug die Grenzen in Sachen Athletik, individueller Klasse und Wechselmöglichkeiten aufgezeigt. Bei uns musste schon alles passen, das war beispielsweise gegen Minden und beim Sieg in Korschenbroich der Fall.

Wenn Sie jetzt, mit zwei Monaten Abstand, zurückblicken: Ist der Klassenerhalt des Soester TV eine Überraschung? Oder ist er gar eine Sensation?

Dirk Lohse: Es war auf jeden Fall die emotionalste und anstrengendste Saison, die ich bislang erlebt habe. Vor der Saison hätte ich es nicht als große Überraschung empfunden, wenn wir mit einer kompletten Truppe die Klasse gehalten hätten. Wir waren von unseren Qualitäten überzeugt und hatten uns schon gute Chancen ausgerechnet, einige Mannschaften hinter uns zu lassen. So wie es zum Ende hin gelaufen ist, mit einem Zille im Tor, der nach einjähriger Pause unglaubliche 12:0 Punkte geholt hat und den beiden Last-Second-Toren von Axel Loer war das ohne Übertreibung schon eine sensationelle Geschichte. Es hat sich ein bisschen angefühlt wie so ein kitschiges Sportmärchen, wie es in amerikanischen Filmen manchmal gezeigt wird. Wo ein Highschool-Basketballteam mit lauter Nieten nach ungezählten Demütigungen auf einmal aufdreht, immer gewinnt und durch einen Dreier in der letzten Sekunde in Superzeitlupe noch den Titel sichert.

Als im Februar die Nachricht vom Tode Bernhard Müllers kam, war nicht nur der komplette Soester TV geschockt. Irgendwie entstand danach der Eindruck, als herrschte im Klub ein Durcheinander. Haben Sie sich Sorgen um den Verein gemacht? War die Situation wirklich brenzlig?

Dirk Lohse: Brenzlig war es ja schon vorher. Bernhard war seit Dezember nach der Androhung der Mindestlohnproblematik quasi rund um die Uhr damit beschäftigt, die Basis dafür zu legen, dass es bei uns vernünftig mit leistungsorientiertem Handball weitergeht, egal ob in der 3. Liga oder der Oberliga. Alles lief dabei über seinen Schreibtisch, alle Fäden liefen bei ihm zusammen. Wir haben ein paar Tage vor seiner Abreise nach Südafrika zusammengesessen und uns fest vorgenommen, dass es trotz aller Probleme weitergeht. Nach seinem Tod war dann erst einmal Schockstarre, dann ein ziemlich planloser Aktionismus, ehe nach einigen Wochen etwas Ruhe einkehrte und wieder mit Verstand gearbeitet werden konnte. In der Phase hat der Verein wirklich gezeigt, dass er diesen Namen verdient. Alle haben Hilfe angeboten und mit angepackt und tun das heute noch. Dass sich mit Marsel Tonneau dann relativ schnell jemand gefunden hat, der gemeinsam mit Franz Schmusch und Gerd Stuckmann die brach liegenden Aufgaben übernommen hat, ist nach all dem Unglück ein riesiger Glücksfall für den STV. Unser Klassenerhalt war ein weiterer Beitrag dazu, dass es in Bernhards Sinne weitergeht und die Handball-Begeisterung in Soest anhält. Es ist immer noch schwer genug für die Verantwortlichen, uns den Spielbetrieb in der 3. Liga zu ermöglichen, und finanziell sind keine großen Sprünge möglich, wie man ja auch an unserer personellen Ausrichtung sieht. Aber wir wollen kontinuierlich daran arbeiten, uns weiter zu stabilisieren – auf und neben dem Spielfeld.

Nichtsdestotrotz: Yannick Eckervogt ist weg, die Flor-Brüder Dominik und Lukas sind weg, Markus Jostes und Aaron Pfennig sind weg, Benni Haake, Tim Luther, Kapitän Tobias Rückert und Ex-Profi Dirk Hartmann haben aufgehört. Immerhin: Torben Voss-Fels ist geblieben. Aber mit den neuen Namen, sieht man einmal von Linkshänder Alex Brauckmann ab, der Drittliga-Erfahrung von der SG Schalksmühle-Halver mitbringt, kann kaum jemand etwas anfangen.

Dirk Lohse: Jeder einzelne Abgang ist bedauerlich, denn jeder dieser Spieler hat seinen Anteil an unserer Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahre, und alle sind richtig gute Typen. Was für ein Spirit in dieser Mannschaft war, das hat sie oft genug gezeigt. Aber eine Mannschaft lebt auch davon, dass neue Gesichter hinzukommen. Das war im vergangenen Jahr, als wir geschlossen mit der Aufstiegsmannschaft weitergemacht haben, vielleicht sogar ein kleines Problem, weil der frische Wind fehlte. Davon haben wir jetzt ein bisschen mehr als nötig, aber das hat ja auch seinen Reiz.

Aber es ist doch so, dass die Mannschaft an Qualität verloren hat. Oder? Wie soll da der erneute Klassenerhalt möglich sein?

Dirk Lohse: Fakt ist, dass wir durch die Abgänge ohne Frage sehr viel Qualität verloren haben. Die Frage, wie viel davon die Neuen schon auffangen können, kann ich jetzt noch nicht beantworten. Ich bin jedoch nach den Eindrücken der ersten Trainingswochen fest davon überzeugt, dass wir ein starkes Team mit einem großen Willen ins Rennen schicken werden. Auch weil ja ein guter Stamm der alten Truppe zusammengeblieben ist, der ein sehr wertvolles Jahr hinter sich hat und die Jungen führen wird. Die Brüderpaare Loer, Bekel und Voss-Fels bleiben dabei, alle sechs sind ebenso wie Niko Thomanek gute bis sehr gute Abwehrspieler. Mit Dennis Zielony ist der überragende Rückhalt der letzten Saisonspiele weiter am Ball. Unser Weg muss es sein, aus einer starken Defensive zu kommen, und die werden wir, wenn wir komplett sind, stellen. Hinzu kommt, dass wir drumherum mittlerweile wirklich toll aufgestellt sind, was im Laufe einer Saison einige Punkte wert ist: Martin Denso steigt neben Kai Schönfeld und Lars Gottwald ins Trainerteam ein, so dass wir künftig noch mehr in kleinen Gruppen und auch einzeln trainieren können und fast jede Trainingseinheit zu zweit sind. Zudem haben wir mit Toni do Carmo aus dem INJOY und dem ehemaligen Zehnkämpfer Karsten Bober zwei Athletiktrainer, die in der vergangenen Saison schon ihren Anteil daran hatten, dass die Jungs nach hinten raus noch richtig fit waren. Und unser ehemaliger Kapitän Tim Köhne und Kerstin Harnischmacher sind zwei sehr gute Physiotherapeuten. All das sind Gründe, die mich zuversichtlich stimmen, dass wir es erneut schaffen können.

Die ersten Wochen der Vorbereitung sind absolviert, das erste Testspiel gegen den Landesligisten TV Arnsberg mit einem 42:17-Sieg ist absolviert. Wie fällt Ihr Fazit bis zum jetzigen Zeitpunkt aus?

Dirk Lohse: Ganz okay. In erster Linie gilt es, momentan viel Basisarbeit zu machen. Die betrifft aber nicht nur konditionelle Komponenten, sondern bei so vielen jungen Neuen auch handballerische Grundlagen. Die Jungs müssen sich an eine andere Passgeschwindigkeit, Zweikampfhärte, schnelleres Umschalten, gerade in der Rückwärtsbewegung, gewöhnen. Das dauert länger als eine Vorbereitung und wird sich erst durch einige Aha-Effekte in der Meisterschaft einbrennen. Die reine Physis mit Kraft und Athletik kommt dazu, da ist viel außerhalb unserer Trainingszeiten zu leisten. Aber alle ziehen sehr gut mit, und die Langzeitverletzten aus der Vorsaison sind wieder voll im Training, das ist schön zu sehen.