Seit 80 Jahren dem Handball verbunden: Inge Lirka im Gespräch
Vom 1. bis zum 17. Dezember 2017 findet die Frauen-Weltmeisterschaft statt, zum vierten Mal in der Geschichte ist Deutschland der Gastgeber. Eine Person kann sich an die erste Weltmeisterschaft auf deutschem Boden noch bestens erinnern. 1956 fand in der Bundesrepublik die Feldhandball-Weltmeisterschaft statt. Mittendrin war Inge Lirka (geb. Walther). Die lebende Legende weilt in Berlin und gehörte vor 60 Jahren zu den besten Spielern ihrer Zeit.
"Ich habe Feldhandball auf dem Großfeld geliebt. Dieses war so groß wie beim Fußball. Dabei hatte ich am meisten Spaß. Beim Hallenhandball sind es immer nur ein paar kurze Schritte, bevor es zum Abstoppen kommt. Beim Feldhandball war es möglich, mit viel Laufeinsatz weite Wege zu gehen", sagte Inge Lirka und schwelgte in Erinnerungen. Damals zog die deutsche Mannschaft nach einem dramatischen 4:4 gegen Ungarn in das Finale ein, musste sich dort allerdings vor knapp 20.000 Zuschauern in Frankfurt/Main gegen Rumänien mit 5:6 geschlagen geben. Die Silbermedaille ist dennoch der größte Erfolg für Inge Lirka. Sie war eine von drei Berlinerinnen bei der WM. Neben Inge Lirka (VfV Spandau) waren auch Ursula Kusserow und Sigrid Röthig (beide Reinickendorfer Füchse) dabei.
Lirka war damals Spielführerin und dirigierte die deutsche Auswahl. Die heute 93-Jährige lebt in Berlin Neukölln, ist dem Handball aber immer verbunden geblieben. Bereits vor 80 Jahren wurde Inge Lirka Mitglied beim VfV Spandau. Durch ihren Mann, Helmut Lirka, zog die Spielmacherin nach Neukölln und wurde dadurch beim Berliner SV 92 aktiv. Sie war ein Sportkind der ersten Stunde: "Ich bin quasi auf dem Sportplatz groß geworden. Neben Handball und Leichtathletik war ich in meiner Jugendzeit auch im Basketball aktiv, also von daher war ich schon an das Spiel in der Halle gewöhnt."
Nur ein Jahr später trat die Mannschaft um Bundestrainer Hans Geilenberg bei der ersten "offiziellen" Hallenhandball-Weltmeiserschaft in Jugoslawien an. Das Turnier im Jahr 1957 fand allerdings tatsächlich unter freiem Himmel auf dem Kleinfeld statt, allerdings mit den Hallenregeln. "Nach dem Krieg gab es keine Hallen für den Handball", erinnerte sich Inge Lirka noch gut. Mit ihr reisten diesmal vier weitere Berlinerinnen zur WM-Endrunde: Ulla Kusserow und Helga Reiche (beide Reinickendorfer Füchse), Uta Samulewicz (TuS Lichterfelde) und Helga Drechsler (OSC Schöneberg).
Gewissermaßen wurden die deutschen Damen bei der Kleinfeld-WM in das kalte Wasser geworfen. Vor den Titelkämpfen konnten sie kein einziges Mal unter den neuen Turnierregeln ein Länderspiel bestreiten. Dennoch schlug sich die Mannschaft hervorragend. Nach einem 10:8 in der Vorrunde gegen Österreich wurde das Spiel um Platz 3 erreicht, doch Gastgeber Jugoslawien zeigte sich zu stark und siege mit 9:6. Den Titel holte sich die Tschechoslowakei im Finale gegen Ungarn mit 7:1.
Für Inge Lirka war auch die Reise nach Jugoslawien eine tolle Erfahrung. Sie gehörte damals zu den ältesten Spielerinnen in dieser jungen Mannschaft und war Spielführerin, sie gab die Richtung vor "Die ersten 20 Länderspiele für Deutschland nach dem Krieg habe ich alle mitgemacht. Das war ein besonderes Gefühl mit einer neuen Zeit", so Lirka. Von 1952 bis 1957 lief sie für die deutsche Auswahl auf. 26 Tore erzielte Inge Lirka in insgesamt 20 Länderspielen, (10 Halle: 7 Tore; 10 Feld, 19 Tore). "Nach der WM 1957 wollte ich eigentlich direkt aufhören , da hatte ich 19 Spiele, eins sollte ich aber noch machen. Daraufhin hatte ich fünfmal die Woche trainiert und musste mir das über ein halbes Jahr lang erarbeiten. Das war eine harte Zeit und ich war froh, dass ich das dann hinter mir hatte", schilderte Lirka ihre letzten Monate der harten Vorbereitung.
Privilegien gab es damals für Nationalspielerinnen wie Inge Lirka übrigens nicht: "Ich musste immer Sonderurlaub nehmen, um zur Nationalmannschaft zu gehen oder zu einer WM zu fahren." Dennoch hatte sie sich trotz ihrer Berufstätigkeit als Sekretärin im Senat immer wieder viel Zeit genommen, um die freien Stunden in den Handball zu investieren. Fairplay stand ebenfalls an oberster Stelle. In ihrer gesamten Laufbahn ist sie nie verwarnt oder vom Platz gestellt worden. Die sportliche Leistung stand im Fokus.
Kontakt zu ihrem ersten Verein, dem VfV Spandau, pflegt Inge Lirka weiterhin, auch wenn der Weg von Neukölln nach Spandau zu weit weg ist, um selbst dort hinzugehen. "Die Bruno Gehrke Halle in Spandau haben wir damals für unser Training mit dem VfV genutzt und diese Halle war auch bei unseren Spielen immer sehr gut besucht. Dort herrschte eine tolle Atmosphäre. Zum Vergleich: In der Deutschland-Halle kam damals keine Stimmung auf."
"Ich habe noch zwei Kontakte, mit denen ich regelmäßig etwas unternehme. Durch meinen Mann ist in Neukölln eine Bowlinggruppe ins Leben gerufen worden. Mit dieser treffe ich mich immer noch jeden Monat. Ich bowle selbst zwar nicht mehr, aber zum Beispiel gehen wir gerne gemeinsam essen", berichtet über Inge Lirka über ihre Ausflüge. " Zur zweiten Gruppe: "Mein Mann war im Krieg Soldat in Afrika, dort hat er auch zum größten Teil Handballer kennengelernt, die jetzt auch in Berlin wohnen. Die holen mich auch einmal im Monat bei unserem Treffen mit dem Auto ab und bringen mich anschließend wieder nach Hause."
Ihr Rezept für ein gesundes Leben ist simpel: "Sport auf jeden Fall. Viel laufen kann ich immer wieder empfehlen. Für mich gab es damals nichts Besseres. Meistens ging es früh zuerst zur Leichtathletik, anschließend zum Handball und dann haben wir am Abend noch Basketball gespielt. Arbeiten sind wir natürlich trotzdem gegangen (lacht)."
Für Inge Lirka sind rückgehenden Mitgliedszahlen im Handball eher ein Luxusproblem. "Wenn ich mir den VfV Spandau anschaue: Damals haben wir Schwierigkeiten gehabt, überhaupt eine Mannschaft zusammenzubekommen. Der Verein hat heute 1.200 Mitglieder. Wenn das damals schon so gewesen wäre... Das hat sich alles total verändert. Eine Kinderabteilung - davon hätten wir damals geträumt."
Auf den Handball fokussierte sich Inge Lirka mit 14 Jahren. Damals waren auch ein paar Mittel nötig, um bei den Erwachsenen mitzuspielen. "Damit ich bei den Frauen dabei sein konnte, habe ich - wie das früher so gemacht wurde - einen gefälschten Pass vorgelegt. Das hat kein Mensch angeguckt. Hauptsache wir waren genug Spielerinnen", sagte sie mit einem großen Lächeln in Erinnerung an die Jugendzeit.
Auch heute schaut Inge Lirka noch sehr gerne Handball im Fernsehen. "Das müssen aber nicht unbedingt die Füchse Berlin sein, die gesamte Bundesliga ist für mich interessant." Gerne würde sie auch die Weltmeisterschaft 2017 der Frauen im Fernsehen verfolgen - 60 Jahre nach ihrer letzten WM-Endrunde.