„Und damit ist die deutsche Handball-Familie vereint“
Auf dem 23. Außerordentlichen Bundestag des Deutschen Handballbundes (DHB) wurde am 8. Dezember vor 30 Jahren die deutsche Einheit im Handball vollzogen. Um 15.47 Uhr – so ist im Jahrbuch 1990 des DHB auf Seite 13 nachzulesen – begrüßte DHB-Präsident Hans-Jürgen Hinrichs (1933-2015) im Goldenen Saal des Hotels Westfalenhalle in Dortmund ganz in der Nähe des Willi-Daume-Haus in der Strobelallee, dem heutigen Sitz des DHB, die Delegierten der soeben beigetretenen fünf neuen Landesverbände aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit den Worten: „Die viel zu lange Zeit der Trennung ist vorbei, von heute an gibt es nur noch ein Wir“.
Zuvor hatte der damals amtierende DHB-Vizepräsident Recht, Heinz Winden (Handballverband Rheinland), in seiner Funktion als Versammlungsleiter der Reihe nach die Anträge der fünf ostdeutschen Landesverbände aufgerufen und zur „einstimmigen“ Abstimmung gebracht. Als der langanhaltende Applaus für die Aufnahmen etwas leiser wurde und Winden mit den Worten: „Und damit ist die deutsche Handball-Familie vereint“ den Tagesordnungspunkt abschloss, erhoben sich alle ostdeutschen Delegierten von ihren Plätzen und mit ihnen sofort alle anderen Anwesenden, um gemeinsam die Nationalhymne anzustimmen.
Der DHB wuchs an diesem historischen Tag von 772.289 auf 885.298 Mitglieder bzw. von 31.625 auf 36.114 aktive Mannschaften. Willi Daume (1913-1996), 1949 Gründungs-Präsident des DHB, hielt als DHB-Ehrenpräsident und amtierender Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) für Deutschland, die Laudatio auf den neuen DHB und sah da schon eine „große Zeit für den deutschen Handball“ kommen, weil der DHB jener Verband sein würde, „der am meisten von der sportlichen Vereinigung profitiert“.
Rückblende: Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 hatte es auf verschiedenen verbandlichen Ebenen – zuerst natürlich „lokal vor Ort“ in Berlin – zahlreiche Gespräche und Verhandlungen gegeben, wie die Einheit im deutschen Sport insgesamt vorangebracht werden sollte. So lautete eine Vorgabe des Deutschen Sportbundes (DSB) und des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) der DDR, nach der sich die Spitzenverbände „mit den Verbänden in der DDR zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Form, aber so zügig wie möglich“ vereinigen sollten. Dazu hatten sich bereits am 6. Februar 1990 in Berlin erstmals Vertreter des DHB und des Deutschen Handballverbandes (DHV) der DDR getroffen, bevor anschließend eine Projektgruppe aus Ost und West eingerichtet wurde und ein sogenanntes 10-Punkte-Programm erarbeitete. Die neue gemeinsame Zeit wurde schon beim 22. Ordentlichen Bundestag des DHB im Mai 1990 in Mannheim mit dem Motto „Deutscher Handball – gemeinsamer Aufbruch in die 90er Jahre“ signalisiert.
Beim Vereinigungs-Bundestag am 8. Dezember 1990 in Dortmund konnte dann das siebenköpfige Präsidium ergänzt werden, darunter mit Dr. Dieter Jungmichel (HV Sachsen) und Ewald Astrath (HV Brandenburg) auch zwei Mitglieder mit ostdeutscher Handball-Biografie, allerdings damals noch ohne satzungsgemäß festgeschriebenen Aufgabenbereich, sondern mehr „als Katalysatoren für den Prozess des Zusammenwachsens“, wie es der alte und neue DHB-Präsident Hinrichs in einem Interview für die Deutsche Handballwoche formulierte. Die weiteren DHB-Präsidiumsmitglieder 1990 waren neben dem schon genannten Heinz Winden: Hans-Peter Oppermann (HV Niedersachsen) für Breiten- und Freizeitsport, Klaus Zöll (HV Hessen) für Leistungssport, Bernd Steinhauser (HV Württemberg) für Finanzen, Eberhard Kilian (HV Berlin) für Jugend und Walter Kreienmeyer (HV Niedersachsen) für Spieltechnik.
Der Zusammenschluss mit dem in Auflösung befindlichen DHV war keine Fusion im klassischen Sinne. Sie verlangte aber eine dezidierte rechtsgutachterliche Stellungnahme gegenüber der IHF, damit die DHB-Auswahl der Männer – übrigens mit Horst („Hotti“) Bredemeier (Minden) von 1989 bis 1992 als Vereinigungs-Bundestrainer – zukünftig an der WM und bei Olympia anstelle des qualifizierten DHV teilnehmen konnte. Hier war Heinz Winden als Vizepräsident Recht für den DHB gefordert und erfolgreich; er leitete damals auch die gemeinsame Strukturkommission. „Es bleibt für mich unvergesslich, mit welcher Kooperationsbereitschaft, mit welchem Engagement und Enthusiasmus die neuen Sportstrukturen aufgebaut und gleichzeitig verhindert wurde, dass in der Handballlandschaft der neuen Bundesländer weiße Flecken entstanden“, denkt Winden, der bis heute im DHB als Vorsitzender der Anti-Doping-Kommission ehrenamtlich tätig, gern an diese bewegte Zeit zurück.
Übrigens: Bei den Frauen gab es das Problem mit dem Startrecht bei internationalen Wettbewerben nicht: Beide Teams spielten nämlich während des Vereinigungs-Bundestages gerade bei der WM in Seoul um Platz 3 – mit einem 25:19-Sieg der „letzten“ DHV-Auswahl bei einer WM.
Ein paar Quizfragen nach 30 Jahren „deutsche Handballeinheit“ zum Abschluss: Wer waren die DDR-Meister 1990? Richtig ist: ASK Vorwärts Frankfurt bei den Frauen und 1. SC Berlin bei den Männern. Und: Wie sahen Anfang Dezember 1990 die Bundesliga-Tabellen aus? Richtig ist: TuS Walle Bremen (12:0 Punkte) vorn und 1. FC Nürnberg (0:12) als Schlusslicht bei den Frauen; bei den Männern SG Wallau-Massenheim (20:6) vorn und SG Stuttgart-Scharnhausen (6:18) am Tabellenende.
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann