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Wo steht der deutsche Frauenhandball?

25.05.2021

Borussia Dortmund verlustpunktfreier Meister, SG BBM Bietigheim Vizemeister und Pokalsieger - diese beiden Mannschaften haben die gerade abgelaufene Saison der Frauen-Handball-Bundesliga geprägt. Aber was macht diese Klubs, wie wichtig ist die Nationalmannschaft auch für Liga und Vereine und wie wirkt sich internationale Erfahrung auf die Nationalspielerinnen auf? Diese und noch viele Fragen mehr haben die Erfolgstrainer André Fuhr (50, Borussia Dortmund zugleich U19/U20-Nationalmannschaft) und Markus Gaugisch (47, SG BBM Bietigheim) in diesem zweiteiligen Doppel-Interview zur Lage des deutschen Frauenhandballs beantwortet. Teil eins widmet sich vorrangig den Klubwettbewerben, Teil 2 dann der Nationalmannschaft und dem Nachwuchs.

Herr Fuhr, was hat bei Ihnen nach dem Meistertitel überwogen, Freude oder Genugtuung?
André Fuhr:
Auf jeden Fall die Freude. Es war nicht Genugtuung, sondern Bestätigung für mich. Die Punktzahl zeigt, dass wir das absolut verdient geschafft haben, im Vorjahr waren es ja Rechenspiele, die dazu führten, dass wir nicht Meister geworden waren - hätte man wie bei den Männern die Quotenregelung genutzt, wäre die Sache klar gewesen. Ich hatte die Ungleichbehandlung nicht verstanden und sage nach wie vor, dass die Entscheidung falsch war. Dieses Jahr zeigt die Tabelle ein ganz klares Bild.
Markus Gaugisch: An der Meisterschaft gab es wirklich keinen Zweifel, wir haben beide Spiele verloren, der BVB ist absolut verdienter Meister geworden. Das Hinspiel war deutlich, im Rückspiel war es 50:50, da war ein Sieg nicht weit entfernt, obwohl auch hier mit Emily Sando, Julia Maidhof und Karolina Kudlacz-Gloc Stammspielerinnen gefehlt hatten.

Hatten Sie mit einer solchen Dominanz gerechnet?
André Fuhr
: Auf keinen Fall. Bietigheim hatte sich vor der Saison sehr gut verstärkt und von Namen und Etat keine schlechtere Mannschaft als wir. Daher konnte man nicht mit einer solchen Dominanz rechnen. Auch gegen andere starke Teams wie Blomberg, Metzingen oder den THC haben wir immer geliefert.

Herr Gaugisch, Sie haben indes den Finalfluch beendet - wie wichtig war der Pokalsieg für Ihren Verein?
Markus Gaugisch:
Es war für den Verein und für die Mannschaft extrem wichtig, diesen Titel zu gewinnen und dieses Erlebnis in Stuttgart zu haben. Das Finale gegen Rosengarten war ein Spiegelbild der ganzen Saison. Mal haben wir unsere Klasse gezeigt, dann hat uns diese Leichtigkeit gefehlt, in diesen Phasen haben wir unsere Qualität nicht auf die Platte bekommen. Aber am Ende durften wir nach einer Saison mit Höhen und Tiefen auch richtig feiern.

Was machte den BVB diese Saison so stark?
André Fuhr:
Vorrangig unsere Kontinuität. Wir hatten keinen großen Umbruch vor der Saison und konnten unsere Entwicklung im zweiten Jahr fortsetzen. Wir konnten unsere Spielweise festigen - speziell, was das Tempospiel betrifft - und haben unsere Qualität zum Beispiel im Positionsangriff gesteigert. Zudem haben wir gelernt, knappe Spiele auch zu gewinnen - und das in einer sehr schweren Saison für uns. Wir waren dreimal in Quarantäne, an Ostern ist unser sportlicher Leiter verstorben, wir hatten eine zuvor nie gekannte Belastung durch die Champions League. Das war alles nicht einfach und daher war diese Dominanz aller Ehren wert.
Markus Gaugisch: Zwischen dem BVB und uns war ein gewisses Punktepolster, dahinter folgte ein großer Abstand zu den nächsten Mannschaften. Das zeigt, dass diese beiden Mannschaften stärker waren als der Rest der Liga und über deutlich größere Erfahrung verfügen.

Was waren für Sie die größten Überraschungen der Saison?
André Fuhr:
Auf jeden Fall, wie Blombergs junge Mannschaft diesen Umbruch geschafft hat. Vielen anderen Mannschaften - wie Metzingen und dem Thüringer HC - hat hingegen die Stabilität gefehlt, auch etablierte Vereine wie Buxtehude und Leverkusen sind am Ende nicht dort gelandet, wo sie sich das erhofft hätten. Zudem hat die Corona-bedingte Aufstockung der Liga zu einer Verwässerung geführt, aber das soll nicht als Kritik an Ligaverband oder Vereinen gewertet werden, das war offensichtlich. Ich bin froh, wenn wir nächste Saison wieder mit 14 Teams spielen.
Markus Gaugisch: Die junge Metzinger Mannschaft hat zu Beginn viele Spiele verloren, dann aber starke Leistungen gezeigt und eine überragende Siegesserie hingelegt. Auch Blomberg konnte mit ihrer jungen Mannschaft sehr guten Handball zeigen.

Bleibt es denn bei diesem Zweikampf zwischen SG BBM und BVB? Was erwarten Sie von der Saison 2021/22?
Markus Gaugisch:
Ich glaube nicht, dass es ganz an der Spitze große Veränderungen geben wird. Bietigheim und Dortmund haben die stärksten Kader und werden um den Titel kämpfen. Ich bin mir sicher, dass wir unsere handballerische Qualität erhöhen und unsere Entwicklung fortsetzen werden. Die jungen Teams aus Metzingen und Blomberg werden sich weiterentwickeln und in der Lage sein, an guten Tagen jeden zu schlagen.
André Fuhr: Bietigheim hat sich extrem verstärkt mit Spielerinnen von uns, das ist eine Situation, wie früher zwischen Bayern München und BVB. Wenn der eine zu groß wird, werden dessen Leistungsträger verpflichtet, in dem Fall Dulfer und Smits. Das ist aus Sicht von Bietigheim natürlich eine gute Strategie.

Nehmen Sie diese Favoritenrolle an?
Markus Gaugisch:
Die Favoritenrolle ist mir egal. Es ist genauso wie vor dem Final4, als wir diese Favoritenrolle hatten. Es ist eine Ehre, die man sich erarbeitet hat, mit Qualität im Kader oder eben durch kluge Transfers. Unsere Spielerinnen sind erfahren genug, um diese Rolle anzunehmen. Also ist das ok.
André Fuhr: Der THC und Metzingen haben sicherlich den Anspruch, oben mitzuspielen, aber man muss sehen, ob sie dieses Niveau auch erreichen. Wir haben immer den Anspruch europäisch zu spielen, das muss nicht immer die Champions League sein, sondern auch mal die European League.

Wie wichtig war die erste Champions-League-Saison für Sie und die Entwicklung Ihrer Spielerinnen?
Markus Gaugisch:
Für mich war es sehr spannend, gleich in der Champions League zu starten. Ich habe mir vor dem Start natürlich Gedanken gemacht: warum hat Bietigheim in den letzten Jahren in der Bundesliga kaum ein Spiel verloren, aber in der Champions League fast kein Spiel gewonnen? Im Laufe der ersten Wochen wurde klar, wie groß der Unterschied zwischen beiden Ligen ist. Wir konnten ein Remis und einen Sieg in 16 Champions-League-Spielen einfahren. Schwächephasen, die wir in der Liga irgendwie kompensieren konnten, wurden in der Champions League schonungslos bestraft.
An Erfahrung fehlt es nicht in unserem Kader, aber an Konstanz. Wir müssen manchmal einfach sicherer spielen, uns auf das Erarbeitete verlassen können, mal mit einem Taktikwechsel oder Personalwechseln auf solche Schwächephasen reagieren, um diese negativen Läufe zu verkürzen. Wir müssen häufiger kühlen Kopf bewahren und uns in der Liga die Sicherheit holen, die wir in der Champions League brauchen.
André Fuhr: Man muss natürlich sehen, dass diese Champions-League-Saison in Corona-Zeiten schon eine extreme Herausforderung war, was Kosten, Organisation, Belastung und Quarantäne betrifft. In einige Länder, wo wir spielten, reist man eben mit einem unguten Gefühl an. Auch für mich war es die erste Champions-League-Saison, und ich denke, wir haben das gut gemacht.

Lesen Sie im zweiten Teil, der im Laufe der Woche auf dhb.de zu finden sein wird, wie Gaugisch und Fuhr die Entwicklung der DHB-Frauen-Nationalmannschaft, die Nachwuchsarbeit und die Karriereplanung in Deutschland bewerten - und was sie sich für den Frauenhandball wünschen.

(BP)