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Nervenstärkste und wurfkräftigste Mannschaft

17.12.2021

Vor genau 50 Jahren wurde erstmals eine deutsche Frauen-Nationalmannschaft Weltmeister im Handball: Die Auswahl des Deutschen Handballverbandes (DHV) der DDR besiegte am 19. Dezember 1971 im Finale der 4. Hallenhandball-Weltmeisterschaft die Mannschaft aus Jugoslawien mit 11:8 (5:4). Das Endspiel fand unter (männlicher) schwedischer Leitung in der mit 3.500 nicht ganz ausverkauften „Rijnhal“ in Arnheim statt. Das Team der DDR, das erstmals bei einer WM dabei war und in den fünf Spielen bis zum Titelgewinn ungeschlagen blieb, wurde von den beiden nicht verwandten Trainern Hans Becker (Verbandstrainer des DHV) und Harry Becker (SC Empor Rostock) gecoacht. Neun Mannschaften hatten an der WM teilgenommen. 

Die Geschichte der Frauen-WM im Handball ist schnell erzählt und trotzdem lang: Zuerst gab es drei WM-Turniere auf dem (Groß-)Feld (1949, 1956, 1960), in dieser Zeit fanden auch zwei Weltmeisterschaften draußen auf Kleinfeld statt (1957, 1962). Die erste „richtige“ Hallen-WM mit acht Nationen fand 1965 in der Bundesrepublik statt. Die DDR wurde nach 1971 auch noch 1975 und 1978 Weltmeister vor dem ersten „gesamtdeutschen“ Titelgewinn 1993 in Norwegen. Rekord-Weltmeister ist Russland mit sieben Titelgewinnen vor Deutschland mit vier (Stand Mitte Dezember 2021). 

In den Spielberichten über das Finale von 1971 ist nachzulesen, dass es „weder hochklassig noch dramatisch, erfreulicherweise aber auch nicht sonderlich hart“ zuging, nachdem das Spiel „auf beiden Seiten verkrampft begonnen“ hatte. Schließlich gewann mit der DDR „die nervenstärkste und wurfkräftigste Mannschaft verdient den Titel“. Dabei galt die DDR nur als „Geheimfavorit“, aber im Vergleich zu allen anderen Titelanwärterinnen war der 16 Spielerinnen umfassende DDR-Kader „krisenfest genug, zeitweilige Schwächeperioden unbeschadet zu überstehen“. 

Als erste deutsche Weltmeisterinnen seien nach 50 Jahren deshalb wieder in Erinnerung gerufen und nochmals herzlich beglückwünscht: Hannelore Zober (SC Leipzig), Edelgard Rothe (TSC Berlin) und Hannelore Burosch (SC Empor Rostock) im Tor; Bärbel Braun (SC Leipzig), Renate Breuer (TSC Berlin), Adelheid Dobrunz (TSC Berlin), Barb Heinz (SC Magdeburg), Petra Kahnt (SC Leipzig), Waltraud Koch (SC Empor Rostock), Bärbel Helbig (SC Leipzig), Kristina Hochmuth (später verheiratete Richter, TSC Berlin), Waltraud Kretzschmar (SC Leipzig), Brigitte Lück (SC Empor Rostock), Liane Michaelis (SC Magdeburg), Bärbel Starke (SC Leipzig) und Maria Winkler (SC Leipzig). 

Der „Weltmeister aus der DDR zog alle Register des Weltklassehandballs, wenngleich die Akzente weniger im Eleganten wie im Attraktiven zu suchen sind, sondern vornehmlich in der Dynamik der Angriffsführung mit einem Übergewicht an Wurfkraft und Geschlossenheit in der Abwehr und dem starken Rückgrat durch eine Sonderklassetorhüterin“ – so lautete damals das Fazit des international renommierten Schweizer Handball-Journalisten Hanns Apfel, der aber gleichzeitig auch die „professionelle Ausbildung“ lobte, die „auf beinahe wissenschaftlicher Basis“ stattfand und die auch den anderen Mannschaften aus dem damals sogenannten „Ostblock“ zugutekam. Die nord- und westeuropäischen Teams wurden allein dadurch in den Schatten gestellt. 

Diese Einschätzung spiegelte sich auch in den weiteren Platzierungen wider: Im kleinen Finale bezwang Ungarn das Team aus Rumänien mit 12:11, während im Spiel um Platz fünf die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) mit 13:9 gegen Dänemark nach Verlängerung siegreich bleib. 

Im DHB-Team unter der Leitung von (Männer-) Bundestrainer Werner Vick, damals im Hauptberuf Handball-Dozent an der Deutschen Sporthochschule Köln, Frauentrainer Helmut Torka (Hamburg) und Frauenwart Friedel auf dem Graben (Wuppertal) spielten: Monika Eichenauer (Hamburger Turnerschaft von 1816), Ilona Keßler und Hannelore Menzel (beide 1. FC Nürnberg) im Tor; Veronika Kind (Eintracht Minden), Gesine Küster, Gisela Hoey, Heike Schukies (alle Bayer 04 Leverkusen), Anita Welz (VfR Mannheim), Waltraut Jakob (TVD Velbert), Gerda Reitwießner, Hannelore Kosbi, Irene Herchenbach (alle 1. FC Nürnberg), Dagmar Ziebert, Dörte Klüss (beide Union 03 Hamburg), Gisela Doerks (Holstein Kiel) und Waltraut Hadamke (Germania List). 

Übrigens: Elf der 16 DDR-Weltmeisterinnen sahen sich wenige Tage nach dem Titelgewinn am ersten Januar-Wochenende 1972 mit ihren jeweiligen Vereinsmannschaften beim 11. Internationalen Rangsdorfer Frauenturnier in Potsdam gleich wieder … und wurden in ihren (weltmeisterlichen) Auswahl-Jerseys zu Turnierbeginn von den Organisatoren persönlich geehrt und vom Publikum frenetisch gefeiert.

(Prof. Dr. Detlef Kuhlmann)