Erstmals gegen Estland
Im Normalfall hätte es ein Duell von Uwe Gensheimer gegen seinen Mannschaftskameraden gegeben und Alfred Gislason wäre auf einen ehemaligen Schützling getroffen - doch wegen Corona-Reise-Einschränkungen kann auch Estlands Nationalmannschaft beim ersten Duell gegen Deutschland überhaupt nicht aus dem Vollen schöpfen. „Ich wäre so gerne dabei gewesen, ich spiele seit zehn Jahren in Deutschland, aber es geht leider nicht“, war Mait Patrail enttäuscht, dass er am Sonntag (15.15 Uhr deutscher Zeit, live im ZDF) nicht mitwirken kann - und auch schon das 28:31 in Österreich am Mittwoch zum Start der EM-Qualifikation nur im Fernsehen verfolgen konnte. Patrail spielt für die Rhein-Neckar Löwen, zuvor stand er unter anderem in Lemgo und Hannover unter Vertrag, seit 15 Jahren ist er Nationalspieler und der beste estnische Handballer.
Fast ebenso bekannt in Deutschland ist ein anderer Este: Dener Jaanimaa, der unter Alfred Gislason beim THW Kiel spielte und danach auch für MT Melsungen auflief. Jaanimaa, der mittlerweile für CSKA Moskau spielt, war zudem der erste Este, der beim Champions-League-FINAL4 in Köln (mit Kiel) an den Start gegangen war. Auch er fehlte im Aufgebot der Esten am Mittwoch in Graz, als Karl Toom vom schwedischen Klub Varberg mit elf Treffern bester Werfer seiner Mannschaft war. „Karl hat ein verrücktes Spiel in Österreich hingelegt, auch unsere Torhüter waren richtig gut“, sagte Patrail, für den Deutschland am Sonntag der große Favorit ist: „Die deutsche Mannschaft hat den besten Mittelblock der Welt und ist im Angriff von jeder Position gefährlich - aber wir Esten werden kämpfen“, sagt der Löwen-Spieler vor dem Premieren-Länderspiel zwischen Estland und Deutschland.
„Wir hatten uns so gefreut, viele deutsche Freunde bei uns zu begrüßen, wir sind richtig traurig, dass das dieses Mal nicht klappt.“ Wie Pirje Orasson, Generalsekretärin des estnischen Verbands, sehen es viele Landsleute vor der Partie in der Hauptstadt Tallinn am Sonntagnachmittag. Für Estland wäre es ein absolutes Handballfest geworden, mit voller Halle und viel Tamtam. Im Gegensatz zu den Nachbarländern Litauen und Lettland kann das kleine Estland noch keine großen Handballerfolge vorweisen.
Noch nie konnte sich Estland zum Beispiel für eine Welt- oder Europameisterschaft qualifizieren. Überhaupt sind die Balten erst zum dritten Mal in der finalen Qualifikationsrunde zu einer EM dabei. Auf dem Weg zur EM 2012 in Serbien standen sie kurz vor dem Ticket - nach zwei Überraschungssiegen ausgerechnet gegen die Bosnier, die nun wieder ihr Gegner sind. Allerdings verlor das Team das entscheidende Spiel gegen Mazedonien dann deutlich. „Gegen Bosnien-Herzegowina haben wir schon einmal gewonnen, da rechne ich wieder etwas aus“, sagt Trainer Thomas Sivertsson: „Aber gegen Deutschland zu spielen, wird ein ganz besonderes Ereignis für uns. Die Deutschen sind positiv handball-verrückt und wollen und können jedes Spiel und jedes Turnier gewinnen“, sagt der Schwede. Kapitän Martin Johansson, der für Steaua Bukarest in Rumänien spielt, geht sogar noch weiter: „Deutschland ist stärker einzuschätzen als der Rest der Gruppe, aber vielleicht haben wir zuhause eine Chance. Mit unserem Teamgeist haben wir eine Gelegenheit, uns erstmals für eine EM zu qualifizieren.“
In Sivertssons vorläufigen Kader steht ein weiterer Deutschland-Legionär, Karl Roosna vom Füchse-Kooperationspartner VfL Potsdam. Insgesamt zwölf der 29 nominierten Spieler verdienen ihr Geld im Ausland. Trotz Patrail und Jaanimaa blieb Estland in der Qualifikation zur EURO 2020 ohne einen Punkt - und musste somit in die Vorqualifikation zur EM 2022. Dort gelangen aber zwei deutliche Play-Off-Siege (38:33, 31:20) gegen Luxemburg.
(BP)