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Kein Talent soll durchs Raster fallen

26.02.2021

In einem normalen Jahr wäre Carsten Klavehn derzeit vier Wochen fernab der Heimat. Denn der Talentcoach des Deutschen Handballbunds würde gerade je zwei Wochen lang in Kienbaum (bei Berlin) und Heidelberg die zukünftigen Stars des deutschen Handballs sichten, gemeinsam mit weiteren DHB-Trainern. Aktuell wären die Jahrgänge 2005 bei den Jungen und 2006 bei den Mädchen an der Reihe. Die Landesverbände hätten zu den ersten Sichtungen für die künftigen Jugendnationalmannschaften ihre besten Talente entsandt und die DHB-Trainer würden aus diesen über jeweils 240 Nachwuchsspieler*innen 36 für die ersten DHB-Lehrgänge bei Jungen und Mädchen auswählen.

Doch aufgrund von Corona ist dieses Jahr alles anders. Nicht nur, dass im Nachwuchsbereich seit fast einem Jahr alle internationalen Meisterschaften verlegt oder abgesagt wurden und die meisten Präsenzlehrgänge der Pandemie zum Opfer fielen - auch die Nachwuchssichtungen sind erheblich betroffen. „So wie wir Sichtungen normalerweise organisieren, mit vier großen Veranstaltungen - je zwei im Norden und im Süden - geht es aktuell nicht“, sagt Klavehn. Der DHB-Trainerstab hat die Kriterien anpassen müssen, aber definitiv steht noch nicht in allen Details fest, wie es weitergeht, denn: Aufgrund unterschiedlicher Landesverordnungen gibt es kein einheitliches Bild, ob und wie Nachwuchstalente in den Landeskadern trainieren können. 

„Das ist aktuell alles sehr heterogen in den Landesverbänden. Und selbst wenn sie trainieren dürften, sind oft die Hallen geschlossen. Sichtungen machen aber erst Sinn, wenn die Spielerinnen und Spieler ausreichend kontinuierlich trainiert haben, aus technischer-taktischer Sicht, aber vor allem, um Verletzungen zu vermeiden. Die Gefahr wäre sonst viel zu groß“, sagt Klavehn, der bei den Sichtungen zum Beispiel von den Jugend-Bundestrainern Gino Smits und Erik Wudtke, aber auch von Junioren-Trainer Martin Heuberger und Chef-Bundestrainer Nachwuchs Jochen Beppler unterstützt wird.

Klavehn & Co. arbeiten daher an unterschiedlichen Konzepten, um den Nachwuchs effizient und natürlich Corona-konform sichten zu können: Eine Möglichkeit sind Tagessichtungen zum Beispiel mit Spielern aus zwei Landesverbänden, kleinere Turniere mit bis zu vier Landesverbänden oder auch Handballcamps mit 60 bis 80 Spieler*innen. „Eine zentrale Sichtungsmaßnahme wird es erst wieder 2022 geben, aber wir haben auch in diesem Jahr genügend Zeit bis zum Deutschland-Cup Ende des Jahres, um zu unserem ersten DHB-Lehrgang der neuen Mannschaften für Jungen und Mädchen einzuladen“, betont Klavehn, dass auch in diesem speziellen Jahr kein Talent durchs Raster fallen soll. Hierzu steht der Trainerstab auch in regem Austausch mit den Trainer*innen der Landesverbände, um immer auf dem aktuellen Stand der Entwicklungen von Spieler*innen zu sein.

Der Talentcoach legt zudem Wert darauf, dass nach den ersten Sichtungen die Kader der neuen Jahrgänge nicht schon in Stein gemeißelt seien, im Gegenteil: „Wir sichten ja immer weiter, die Türen sind auch für Spielerinnen und Spieler offen, die vielleicht im ersten B-Jugendjahr noch nicht so weit in ihrer Entwicklung waren. Wir sind immer offen für neue Gesichter, deswegen schauen wir uns ja sehr viele Spiele und Turniere an, um potenzielle Talente zu finden“, sagt Klavehn, der als Beispiel Tom Bergner nennt, der erst kurz vor der U19-Weltmeisterschaft ins Team stieß, beim Turnier dann aber durchstartete und als Silbermedaillengewinner ins All-Star-Team gewählt wurde - und nun beim Bergischen HC bereits Bundesligaluft schnuppert. Ein ähnlicher Fall sei Julius Meyer-Siebert vom SC DHfK Leipzig. „Wer fleißig ist, bekommt immer seine Chance“, ist das Motto des DHB-Talentcoaches.

Klavehn & Co. müssen mit ihren Sichtungen also flexibel sein, was die Zeiten und die Orte betrifft. Was keinen Sinn macht, wäre Talente per Video zu sichten. „Es geht ja nicht darum, dass und wie jemand allein einen Sprungwurf vorführt, sondern wie er oder sie sich im Wettkampf präsentiert. Später können wir uns mit Videoanalysen zum Beispiel von Nachwuchs-Bundesligaspielen einen Überblick verschaffen, aber die Sichtungen müssen wir vor Ort machen“, sagt Klavehn.

Mit im Gepäck haben Klavehn und die DHB-Trainer eine besondere Motivation für die Talente: Das Jahrzehnt des Handballs mit der Perspektive von zahlreichen Heim-Turnieren von der U21-WM 2023, die Männer-EM 2024 über die Frauen-WM 2025 und die Männer-WM 2027. „Besonders die WM 2027 ist natürlich für die aktuelle Generation, die wir sichten, ein tolles Ziel. Dann wäre sie 22, 23 Jahre alt. Juri Knorr hat gerade im Alter von Anfang 20 seine erste Männer-WM gespielt. Es ist also nicht so unrealistisch, dass wir bei den Spielern, die wir jetzt sichten, den einen oder anderen mit Perspektive für 2027 haben“, sagt Klavehn. Die erste internationale Bewährungsprobe werden die neuen Talente beim auf 2022 verschobenen European Youth Olympic Festival (EYOF) im slowakischen Banska Bystrica haben.