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Auf der Suche nach zukünftigen Zugpferden

28.10.2021

2013 ging der erste Elitekader des Deutschen Handballbundes an den Start - „Erfinder“ und Mentor dieser speziellen Form der Top-Nachwuchsförderung ist Wolfgang Sommerfeld. Nach vielen Jahren gibt der Bayer den Staffelstab nun sukzessive in jüngere Hände - Ex-Nationalspieler und Europameister Martin Strobel ist seit 2019 schon in dem Projekt involviert, war erst Hospitant, ist aktuell Mentor von der Hälfte der aktuellen Kaderspieler*innen und übernimmt ab 2022 die Leitung des Elitekaders.

Anfang der Woche wurden die zehn Spieler und sechs Spielerinnen präsentiert, die im neuen Elitekader durch die Mentoren speziell in Sachen Karriereplanung und persönliche Entwicklung gefördert werden, am heutigen Donnerstag stellten sich Sommerfeld, Strobel, Chef-Nachwuchs-Bundestrainer Jochen Beppler sowie aus dem Elitekader Laetitia Quist (HSG Blomberg-Lippe) und Fynn Nicolaus (TVB Stuttgart) den Fragen im virtuellen Medientermin des DHB.

Dass die Verkündung des neuen Kaders kurz vor dem Tag des Handballs in Düsseldorf am 7. November stattfand, war gewollt - denn in den A-Nationalteams der Männer und Frauen, die in Düsseldorf auf der Platte stehen, sind gleich acht Spieler*innen aus den Elitekadern 2018 und 2019: Amelie Berger, Sarah Wachter, Mia Zschocke, Julia Maidhof und Lena Degenhardt bei den Frauen sowie Sebastian Heymann, Juri Knorr und Julian Köster bei den Männern. Köster ist sogar aktuell noch im 2021er-Elitekader.

Rückblickend erläuterte Wolfgang Sommerfeld, langjähriger Co-Trainer der Junioren-Nationalmannschaft unter Martin Heuberger, die Idee hinter dem Konzept: „Deutschland gewann viele Medaillen und Titel bei Europa- und Weltmeisterschaften, stellte zudem bei jedem Turnier immer ein, zwei Allstar-Team-Spieler. Die aber spielten mit 22, 23 Jahren immer noch nicht im A-Nationalteam, und wurden dann von ausländischen Altersgenossen überholt. Wir wollten in Sachen Anschlussförderung etwas ändern - und starteten mit den Klubs dieses Kooperationsprojekt - auch wenn Verband und Vereine teilweise unterschiedliche Interessen verfolgten.“ Seit 2019 wird der Elitekader auch für weibliche Toptalente angeboten.

Die Aufgabe des Mentoren ist die Unterstützung des Spielers und zwischen Verband und Vereinen zu vermitteln - und gleich der erste Jahrgang schlug mächtig ein. Sechs Spieler aus dem ersten Elitekader standen 2016 im DHB-Team, das in Polen Europameister wurde. „Es zeigte sich seither, dass die Vereine sich in die richtige Richtung entwickelt haben und zum Beispiel viel mehr individuelles Training für die Talente anbieten. Alle haben die gemeinsame Zielrichtung verstanden, um den Spieler voranzubringen, denn nur um den geht es“, sagt Sommerfeld, der die Spielerinnen und Spieler auch bei Vereinswechseln berät, um die optimale sportliche Entwicklung zu garantieren. Die Elitekader-Spieler würden wie Einzelsportler gefördert, um sie dann wieder ins Team zurückzubringen.

Martin Strobel, der künftige Leiter des Elitekader-Programms, weiß, wovon er spricht, er hat alle Jahrgänge der DHB-Auswahlen durchlaufen, vom Start der ersten Sichtung bis zum ersten A-Länderspiel. Acht Jahre wurde er dabei von Sommerfeld trainiert. „Dieser Weg durch alle Teams war jetzt meine Motivation. Ich habe recht früh den Sprung in die A-Nationalmannschaft geschafft, habe aber auch gesehen, wie andere in diesem Übergansbereich Probleme hatten.“ Beim Blick zurück auf 2016 meint Strobel: „Die jungen Spieler, die in Polen dazukamen, hatten eine richtig große Qualität und haben uns geholfen. Aber: Wir schaffen es dennoch seit Jahren nicht, einen echten Weltklassespieler zu entwickeln, ein Zugpferd für den deutschen Handball.“ 

Gerade nach den Corona-Einschränkungen müsse der Austausch zwischen Spielern, Heimtrainern und DHB-Trainern weiter intensiviert werden, man müsse extrem viel Zeit für diese Elitekader-Spieler investieren: „Der Perspektivkader-Lehrgang von Alfred Gislason im Oktober hat zudem gezeigt, wie eng wir unseren Nachwuchs mit der A-Mannschaft verzahnen müssen. Wir müssen die Spielerinnen und Spieler zudem viel enger zusammenbringen, damit sie gegenseitig voneinander profitieren können - zum Beispiel in Verletzungsphasen“, sagte Strobel.

Chef-Bundestrainer Nachwuchs Jochen Beppler ist eine wichtige Instanz bei der Nominierung des Elitekaders - für ihn ist das nun anstehende Jahrzehnt des Handballs die beste Motivation für die Talente: „Zu wissen, dass man die Möglichkeit einer Heim-Weltmeisterschaft hat, ist ein toller Antrieb, egal, ob mit Blick auf die U21-WM 2023 oder bei den Mädels mit Blick auf die Frauen-WM 2025“, sagt Beppler, der am Beispiel von Fynn Nicolaus diese Motivation erläutert: „Noch vor seinem ersten Jugend-Länderspiel in Frankreich haben wir über das große Ziel einer Junioren-WM in Deutschland gesprochen, und da waren alle Spieler dieses Jahrgangs gleich Feuer und Flamme.“

Beppler hat diverse Statistiken ausgewertet - und dabei herausgefunden, dass die 2016er Europameister im Schnitt mit 19,6 Jahren ihr erstes Bundesligaspiel und mit 21,3 Jahren ihr erstes A-Länderspiel bestritten hatten. „Da müssen wir wieder hin - und aktuell zeigen Spieler wie Julian Köster oder Till Klimpke in diesem Alter schon ihr Potenzial. Man darf allerdings nicht auf Kosten der Qualität und der Gesundheit zu schnell zu viel verlangen.“ Wichtig sei allerdings auch, dass frühzeitig die Positionen intensiver gefördert würden, in denen im A-Team Bedarf besteht.

Daneben müsse eben auch auf die unterschiedlichen Förderstrukturen im föderalen System Rücksicht nehmen, zum Beispiel, was die Eliteschulen des Sports betrifft. „Und wir müssen noch mehr aufpassen, dass niemand durchs Sichtungsraster fällt, speziell, wenn es sich um Spätstarter handelt“, betont Beppler.

Die 19-jährige Laetitia Quist stammt „definitiv nicht“ aus einer Handballfamilie, wechselte nach dem Drittliga-Aufstieg mit der SG Kappelwindeck zur TuS Metzingen, ehe sie sich aufgrund ihrer Aufnahme in die Sportfördergruppe der Bundeswehr in Warendorf (Münsterland) vor dieser Saison der HSG Blomberg-Lippe anschloss. Sie hat den ganz klassischen Weg im Nachwuchsbereich gemacht: „Nach den ersten DHB-Sichtungen habe ich gemerkt, dass ich wohl eine Perspektive in Richtung Leistungssport habe. Nach Welt- und Europameisterschaften im Nachwuchs war klar, dass ich mich nur in der 1. Liga weiterentwickeln kann. Ich kam in den Elitekader, Wolfgang Sommerfeld hat mich speziell bei der Koordination von Handball und Schule mit Blick auf Klausuren und Abitur unterstützt und auch bei meinem ersten Vertrag.“ Nun kann sich Quist als Sportsoldatin neben ihrer Grundausbildung zwei Jahre lang voll auf Handball konzentrieren.

Fynn Nicolaus konzentriert sich derweil auf sein Comeback, denn bei der mit Gold gekrönten U19-Europameisterschaft zog sich der Abwehrspezialist schon im Vorrundenspiel gegen Norwegen eine Schulterverletzung zu, musste operiert werden - und befindet sich nun wieder in der Aufbauphase. „Joggen und Krafttraining sind wieder erlaubt“, sagt der Schwaben, der bei der JSG Bottwar das Handballspielen erlernte und von dort direkt nach Stuttgart wechselte, wo er mit 16 Jahren jüngster Bundesligaspieler aller Zeiten wurde.

Seit 2019 ist Nicolas Mitglied im Elitekader - und gerade in der aktuellen schwierigen Verletzungsphase froh, dass man ihm weiter das Vertrauen schenkt. „Die erneute Nominierung ist für mich ein echter Motivationsschub.“ Sein erstes Turnier im DHB-Trikot war das EYOF - und schon damals hätten Beppler und DHB-Talenttrainer Carsten Klavehn immer wieder die ganze Mannschaft auf das große Ziel „Heim-WM 2023“fokussiert: „Seitdem steht für jeden von uns fest: Da will ich auch teilnehmen.“

Die Spieler*innen des DHB-Elitekaders:

Weiblich: Dana Bleckmann (Borussia Dortmund, Rückraum links), Laetitia Quist (HSG Blomberg-Lippe, Rückraum rechts), Rebecca Rott (TuS Metzingen, Rückraum Mitte), Viola Leuchter (TSV Bayer 04 Leverkusen, Rückraum rechts), Nieke Kühne (HSG Blomberg-Lippe, Rückraum links), Matilda Ehlert (SG BBM Bietigheim, Rückraum links/Mitte)

Männlich: Lukas Diedrich (TUSEM Essen, Tor), Julian Köster (VfL Gummersbach, Rückraum links), Nils Lichtlein (Füchse Berlin, Rückraum rechts), Fynn Nicolaus (TVB Stuttgart, Kreis), Tom Bergner (TUSEM Essen/Bergischer HC, Kreis), Veit Mävers (TSV Hannover-Burgdorf, Rückraum Mitte), Niclas Heitkamp (SC DHfK Leipzig, Rückraum links/Mitte), Justus Fischer (TSV Hannover-Burgdorf, Kreis), David Späth (Rhein-Neckar Löwen, Tor), Renars Uscins (SC Magdeburg, Rückraum rechts)

(BP)