„Die wichtigsten Trainer*innen des deutschen Handballs“
Am Freitag endete in Potsdam die diesjährige Zertifikatsausbildung Nachwuchstrainer*in-Leistungssport des Deutschen Handballbunds. 22 Teilnehmer*innen - meist HBL- und HBF Jugendkoordinator*innen, A-Jugendbundesligatrainer*innen und Landesauswahltrainer*innen - wurden in unterschiedlichen Themenfeldern mit Blick auf die Talentförderung und Nachwuchsausbildung im Leistungssport ausgebildet. Der DHB bietet die Zertifikatsausbildung seit 2016 an - und mindestens ein B- oder A-Jugendtrainer im Verein muss (neben anderen Kriterien) diese Zertifikatsausbildung absolviert haben, um das das begehrte Jugendzertifikat von HBL oder HBF zu erhalten. Der DHB hatte mit der Einführung dieses Zertifikatslehrgangs den DOSB-Innovationspreis gewonnen.
Und pünktlich einen Tag nach Abschluss dieses Lehrgangs kürte die HBL auch erstmals den Nachwuchstrainer des Jahres: aus über 200 eingereichten Vorschlägen für Trainer deutscher A-, B- und C-Jugendmannschaften entschied sich eine Expertenjury (Alfred Gislason, Anna Loerper, Dominik Klein und Frank Bohmann) für Daniel Haase, der eine Woche zuvor die A-Jugend der Rhein-Neckar Löwen zur deutschen Meisterschaft geführt hatte.
Am Ende der intensiven Lehrgangswoche zogen die beiden Lehrgangsleiter - Jochen Beppler, Chef- Bundestrainer Nachwuchs des DHB, und Dr. Patrick Luig, Bundestrainer Bildung und Wissenschaft - gemeinsam mit Mattes Rogowski, der bei der HBL für die Erteilung der Jugendzertifikate zuständig ist, nicht nur ihre Bilanz, sondern diskutieren in diesem Interview über den Stellenwert der Nachwuchsförderung und speziell die Bedeutung qualifizierter Nachwuchstrainer.
Warum ist diese Zertifikatsausbildung so wichtig für erfolgreiche Nachwuchsarbeit?
Patrick Luig: Trainer*innen müssen sich immer weiter spezialisieren, das gilt auch für den Nachwuchsbereich. Deswegen hatten wir diese Zertifikatsausbildung vor sechs Jahren ins Leben gerufen. Nachwuchsspieler*innen müssen eben anders trainiert werden als Profis, die Trainer*innen müssen, überspitzt gesagt, die Athlet*innen fit für die Karriere und nicht nur fit fürs nächste Wochenende machen, sie in ihrer Entwicklung vom Kind bis im Optimalfall zum bzw. zur Nachwuchs-Nationalspieler*in begleiten und formen. Natürlich ist jedes Spiel wichtig. Erfolge und Niederlagen sind Entwicklungshelfer, aber es geht darum, über das nächste Wochenende hinauszublicken. Die Nachwuchsausbildung ist ein langfristiger Prozess, sie erfordert Spezialisten und Erfahrung, deswegen hoffen wir, dass wir durch diese Zertifikatsausbildung Nachwuchstrainer*innen auf das Berufsbild optimal vorbereiten, und dass sie auch lange im Nachwuchsbereich tätig bleiben.
Welche Bedeutung hat die Ausbildung von guten Nachwuchstrainern für die HBL, deren Hauptbetätigungsfeld ja eigentlich der Profisport ist?
Mattes Rogowski: Wir als HBL sind sehr froh, dass es diese Ausbildung gibt, die Nachwuchstrainerinnen und Nachwuchstrainer spezifisch für ihren Aufgabenbereich ausbildet. So können wir bei unseren Vereinen auch das Berufsbild Nachwuchsleistungssporttrainer*in stärken. Wir haben die Wichtigkeit der Nachwuchstrainerinnen und Nachwuchstrainer erkannt, wollen sie auch langfristig im Nachwuchsbereich erhalten und hierfür zukünftig noch mehr spezielle Anreize schaffen. Wir wollen damit erreichen, dass unsere top Nachwuchstrainer*innen statt eine Nachwuchsmannschaft eines Bundesligisten einen Drittligisten trainieren, nur weil sie dort mehr verdienen können. Deswegen müssen die Vereine auch bereit sein, mehr in ihre Nachwuchstrainer*innen und damit in den Nachwuchs zu investieren.
Patrick Luig: Und neben den Vereinstrainer*innen an den Nachwuchsleistungszentren sind natürlich auch die Verbandstrainer*innen und Verbandsauswahltrainer*innen der Landesverbände die Kernzielgruppe für diese Zertifikatsausbildung. Sprich, alle, die direkt mit den Kaderathlet*innen arbeiten, um sie weiterzubringen. In unserer Struktur arbeiten Vereine und Landesverbände idealerweise Hand in Hand, deswegen ist auch für die Landestrainer*innen diese Ausbildung so wichtig.
Welche Vorteile haben die Absolventen zusätzlich?
Jochen Beppler: Durch diese Zertifikatsausbildung bauen die Nachwuchstrainer*innen ein Netzwerk auf und sorgen auf allen Ebenen für einen wichtigen Austausch. Daneben ist der Lehrgang immer an ein Nachwuchsleistungszentrum angedockt, wie Flensburg, Berlin, Großwallstadt oder jetzt Potsdam, damit die Teilnehmenden den Tagesablauf und die Trainingsbedingungen und Inhalte der Talente vor Ort erleben können. Das sorgt für wichtige Einblicke. Daher finden diese Lehrgänge nicht in den klassischen Sportschulen statt. Dem informellen Lernen kommt also eine mindestens ebenso große Bedeutung zu wie den Lehrplaninhalten.
Wie ist der Austausch zwischen Verband und Klubs, was die Inhalte der Nachwuchstrainerausbildung betrifft?
Jochen Beppler: DHB und HBL reflektieren ständig die Anforderungen an Nachwuchs-Leistungssporttrainer*innen und versuchen, die Ausbildung kontinuierlich zu verbessern, um die Qualität der Trainer*innen-Ausbildung zu verbessern, und zu sehen, was wir besser machen können. Wie Mattes schon sagte, müssen wir das Berufsbild des Nachwuchstrainers steigern, damit er oder sie nach erfolgreicher Ausbildung auch weiter im Nachwuchsbereich einem Bundesligisten arbeitet. Die hier ausgebildeten Trainer*innen sind eben Spezialisten für den Nachwuchsbereich, und da wollen wir sie auch langfristig sehen. Die Attraktivität muss gesteigert werden, damit sie langfristig Erfahrungen sammeln können, und es nicht eine so große Fluktuation gibt. Für einen langfristigen Aufbau von Talenten ist Kontinuität auf dem Trainerposten entscheidend, auch daher ist es wichtig, für eine Attraktivität des Berufsbildes Nachwuchstrainer zu sorgen.
Sorgt die Zertifikatsausbildung automatisch für erfolgreiche Nachwuchsarbeit?
Patrick Luig: In den aktuellen Finalspielen der deutschen A-Jugend-Meisterschaften wurden drei der vier Mannschaften von Absolventen des Vorjahres trainiert: Bei der weiblichen A-Jugend gewann Jörg Hermes mit Bayer Leverkusen das Finale gegen Björn Piontek und die HSG Blomberg-Lippe, und bei der männlichen Jugend stand Kenji Hövels mit den Füchsen im Endspiel. Solche Trainer werden natürlich auch im Erwachsenen- und Profibereich wahrgenommen, und daher stimme ich absolut zu, dass wir solche Erfolgstrainer in der Nachwuchsausbildung binden sollten, um die Qualität bei der Talentausbildung langfristig zu sichern.
Welchen Einfluss auf die Nachwuchsarbeit der Vereine hat die Einführung des Jugendzertifikats gehabt?
Jochen Beppler: Die Einführung des Jugendzertifikats war ein Meilenstein für den deutschen Handball, denn mit diesen Kriterien wurde die Nachwuchsarbeit deutlich forciert. Auch hier bedarf es allerdings einer kontinuierlichen Anpassung und Entwicklung, denn Stillstand ist Rückschritt. Wir sind froh, in der HBL einen Partner zu haben, der dies ähnlichsieht.
Mattes Rogowski: In beiden Profiligen und auch bei der HBL GmbH ist die Nachwuchsförderung ein riesiges Thema, nicht nur wegen des Jugendzertifikats, dass es ja bereits seit 2007 gibt und sich ständig weiterentwickelt. Mit dem Jugendzertifikat haben wir jedoch die Grundlage, den Anreiz und den Anstoß bei unseren Clubs geschaffen, mehr in die Nachwuchsförderung zu investieren und das Berufsbild des Nachwuchstrainers zu schärfen und zu stärken. Diesen Weg wollen wir weitergehen, denn es ist wichtig, dass die besten Trainerinnen und Trainer in unseren zahlreichen Nachwuchsleistungszentren arbeiten und zudem durch diese zusätzliche Ausbildung geschult werden. Dank der Nachwuchs-Leistungssport-Trainerausbildung ist in den vergangenen Jahren die Qualität der Nachwuchsspieler erheblich gestiegen. Diese Qualität brauchen wir unbedingt, damit die Nachwuchsspieler den Übergang in den Profibereich erfolgreich bewältigen.
Aber dieses Zertifikat ist ja nur ein Teil der Entwicklung der Nachwuchstrainer. Was erwarten Sie von Vereinen und Landesverbänden, um das Niveau weiter zu steigern?
Patrick Luig: Eine Aus- oder Fortbildung kann immer nur ein Auftakt sein, ein erster Schritt in der persönlichen Entwicklung. Die Nachwuchstrainer*in-Ausbildung nimmt mit Vor- und Nachbereitung circa 2 bis 3 Wochen in Anspruch. In den übrigen 50 Wochen des Jahres müssen die Nachwuchstrainer*innen im Verein oder im Landesverband weiterentwickelt werden, sollen sich zum Beispiel mit den Trainer*innen der Profimannschaft ständig austauschen und sich und seine Arbeit reflektieren. Die Nachwuchstrainer*innen soll eigene Impulse setzen, aber auch Impulse aus dem gesamten Trainerstab des Vereins erhalten. Zum Beispiel können die Vereine Mentoren für talentierte Nachwuchstrainer*innen einsetzen, die diese bei den nächsten Schritten helfen. Vereine und Landesverbände müssen da selbst für ihre Personalentwicklung sorgen, da sind alle - Liga, Klubs und Landesverbände - in der Pflicht.
Mattes Rogowski: Viele Vereine, wie beispielsweise die SG Flensburg-Handewitt, die Füchse Berlin oder auch der SC DHfK Leipzig, machen das genauso. Sie unterstützen ihre Nachwuchstrainer*innen zum Beispiel durch regelmäßige interne Fortbildungen und kontinuierlichen Austausch. Unser Zeil muss es sein, möglichst alle Vereine dazu zu bewegen, ihren Nachwuchstrainer*innen stetig intern Weiterbildungsangebote zu machen, durch die sie sich fortbilden können. Denn ihre Ausbildung ist nicht mit Abschluss des Zertifikatslehrgangs beendet. Wir sind der Meinung, dass die Nachwuchstrainer*innen auf dieser Ebene die wichtigsten Trainer*innen des deutschen Handballs sind. Wenn wir sie nicht in die Lage versetzen, gute Arbeit abzuliefern, wird es im internationalen Vergleich keine deutschen Spitzenspieler in der LIQUI MOLY HBL und in unserer Nationalmannschaft geben. Deswegen ist es ein absolut notwendiger Schritt, diese Trainer*innen vor allem in der Ausbildung zu unterstützen. Kein Zweifel, wir haben schon ein gutes Niveau erreicht, aber wir können noch viel besser werden.
Haben alle Beteiligten die Bedeutung der Nachwuchsarbeit verstanden, bedarf es noch an Überzeugungsarbeit - und was muss sich noch ändern?
Patrick Luig: Es muss immer eine Mischung aus Anreiz und Verpflichtung sein, dass die Vereine mehr in ihre Nachwuchstrainer*innen investieren. Viele Vereine haben das Jugendzertifikat als Anstoß genommen, um sich dann auch breiter aufzustellen und die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Es ist essenziell, dass die qualifizierten Nachwuchstrainer*innen auch von ihrem Job leben können. Dann werden auch der Klub und die einzelnen Spieler*innen immer besser. Wie sagte schon Kennedy: Es gibt nur eins was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung! Und das stimmt auch für unseren Bereich. Gute Nachwuchsarbeit ist für jeden Verein ein Gewinn. Nicht sofort aber langfristig, z.B.wenn man selbst ausgebildete Spieler*innen in die 1. oder 2. Liga bringt. Es lohnt sich dan auch wirtschaftlich, aber vor allem sorgt es für eine riesige Identifikation. Das ist das mit dem Anstoß durch das Jugendzertifikat: die Klubs haben verstanden, wie wichtig es ist, eigene Spieler in ihren Profikadern zu haben.
Jochen Beppler: Und mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung können diese Trainer*innen dann auch die Kultur und die Methodik der Sportart der nächsten zehn, 15 Jahre prägen und mitbestimmen, sowie den Handballsport weiterentwickeln. Denn diese Trainer*innen, die wir hier ausbilden, haben hohe Ziele, sind ambitioniert und wollen sich auch selbst weiterentwickeln.
Patrick Luig: Auch die Aus- und Fortbildung ist mit diesem Zertifikatslehrgang ja auch noch nicht zu Ende. Alle Trainer*innen, die dieses Zertifikat erwerben, haben entweder die A- oder B-Lizenz. Und auch bei unseren Fortbildungen haben wir einmal im Jahr einen Workshop mit dem Fokus auf Nachwuchsleistungssport, so wie dieses Jahr im Sommer in Düsseldorf, angedockt an die German International Youth Championships.
(BP)