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„Gutes Klima, gewachsenes Vertrauen“

01.10.2021

Düsseldorf als Schauplatz eines Ordentlichen Bundestages des Deutschen Handballbundes ist Andreas Michelmann bestens bekannt. 2013 zog er dort als Vizepräsident Amateur- und Breitensport ins DHB-Präsidium ein. 2015 folgte er als Präsident auf Bernhard Bauer. Am kommenden Sonntag ist Michelmann wieder in Düsseldorf. Dort stellt sich der 61-Jährige, der im Hauptberuf als Oberbürgermeister die Geschicke der Stadt Aschersleben lenkt, den Delegierten zum zweiten Mal nach 2017 zur Wiederwahl. Wie Michelmann auf die vergangenen vier Jahre zurückblickt, ist Gegenstand des Interviews. 

Wenn Sie auf die vergangenen vier Jahre als DHB-Präsident zurückblicken - was waren die wichtigsten Punkte?
Andreas Michelmann: Die Amtszeit begann mit der Frauen-Heim-Weltmeisterschaft 2017, die von der Organisation sehr gut und finanziell besser als gedacht endete. Allerdings war das eigene sportliche Ergebnis mit dem Aus im Achtelfinale absolut nicht das, was wir uns vorgestellt hatten. Wir haben den erhofften Schub für den Frauenhandball in Deutschland so leider vorerst verpasst. Dann kam die in allen Belangen herausragende Männer-WM 2019, der leider nur das Edelmetall als Sahnehäubchen fehlte - und der Rest der Amtszeit war von der Corona-Pandemie und deren Auswirkungen geprägt. 

Sie sind in Düsseldorf der einzige Kandidat für den DHB-Präsidentenposten, auch ansonsten gab es bislang keine großen Querelen - haben Sie das ganze Spektrum des deutschen Handballs befriedet? 
Andreas Michelmann: Der Deutsche Handballbund, die Landesverbände und die Bundesligen arbeiten sehr gut und zielführend zusammen, das ist anders als zum Beispiel 2015. Auch wenn es weiterhin Themen - wie aktuell die Zukunft des Frauenhandballs - gibt, wo unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen und es auch einmal lauter wird. Aber wir haben es geschafft, diese Diskussionen und Fragen intern und sachlich zu klären. Wir haben ein sehr gutes Klima bei den Bundesratssitzungen, das Vertrauen aller Seiten ineinander ist deutlich gewachsen. 

Wie wichtig waren in diesem Zusammenhang die Änderungen, was Ehrenamt und Hauptamt, also die Verbandsstruktur, betrifft? 
Andreas Michelmann: Wir haben die Strukturen verändert hin zu einem hauptamtlichen Vorstand und dem gewählten Präsidium - die Ergebnisse haben definitiv unsere Erwartungen übertroffen. Wir sind strukturell und finanziell deutlich besser aufgestellt als vor vier oder sechs Jahren. Trotz der Pandemie haben wir 30 Prozent mehr Einnahmen als vor vier Jahren. Die Trennung von Präsidium und Vorstand war ein wichtiger Teil des Erfolgs. Und daher gilt mein Dank unserem Vorstandsvorsitzenden Mark Schober, den übrigen Vorständen und allen Mitarbeitern des Deutschen Handballbundes.  

Aber sehen Sie die Struktur nicht als Machtverlust des Präsidiums? 
Andreas Michelmann: Nein! Unser Präsidium funktioniert sehr gut als Kontrollgremium des Vorstands, hält sich aber aus dem operativen Geschäft heraus. So soll es sein, so klappt das gut. Die Struktur hat sich bewährt, aber wir müssen zum Beispiel in Sachen Frauenhandball noch viel mehr erreichen, um 2025 bei der zusammen mit den Niederlanden ausgerichteten WM unser Medaillenziel zu erreichen.  

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die aktuelle PotAS-Studie, die künftig die Leistungssportförderung regelt und für einige Kritik sorgte? 
Andreas Michelmann: Wir sind hinter Hockey und Volleyball drittbester Mannschaftssport - und wir wären noch weiter vorne, wenn wir sportlich erfolgreicher gewesen wären, speziell bei den Olympischen Spielen. Was Struktur, Organisation und Potenzial betrifft, haben wir Bestnoten erhalten. Aber im Bereich Leistungssport haben wir einige Ziele eben nicht erreicht, da hinken wir unserer Struktur und den Finanzen noch hinterher. Deshalb müssen wir hier in der nächsten Legislaturperiode alle Kraft investieren. 2023, 2024, 2025 und 2027 haben wir Handball-Großereignisse wie an der Perlenschnur, darauf freut sich ganz Handball-Deutschland. Das wollen und müssen wir für unsere Sportart nutzen, auch, was die Erfolge betrifft. 

Ein anderes Ziel Ihrer Amtszeit war das Thema Mitglieder. Was hat der DHB erreicht, wie stark schlug Corona ins Kontor? 
Andreas Michelmann: Wir haben den Landesverbänden für jede der zehn Förderregionen 50.000 Euro für die Einrichtung einer hauptamtlichen Stelle für die Mitgliedergewinnung zur Verfügung gestellt, teilweise sind diese Mittel auch schon abgerufen worden. Wir hatten nach den Erfolgen bei der WM 2007 und der EM 2016 sowie nach der Heim-WM 2019 einen großen Zulauf im Nachwuchs, aber dann kam uns genau in dieser Phase Corona dazwischen. Mit dem Jahrzehnt des Handballs wollen wir da natürlich nachlegen, aber es hat sich ganz klar gezeigt: Mitgliederzuwachs ist immer abhängig von den sportlichen Erfolgen der Zugpferde, also der A-Nationalmannschaften. 

Innerhalb der vergangenen vier Jahre hat sich der DHB zudem international viel stärker positioniert als zuvor, war das ebenfalls Teil der neuen Strategie? 
Andreas Michelmann: Unser erstes Ziel war, uns erfolgreich für die internationalen Großturniere zu bewerben. Und als Kommunalpolitiker weiß ich, dass man sich erst einmal eine Mehrheit verschaffen muss, obwohl natürlich die Qualität unserer Bewerbungen hervorragend war. Wir haben uns ein gutes Netz in ganz Europa aufgebaut, wir haben uns eingebracht, haben uns aber auch an anderen Stellen zurückgenommen, zum Beispiel bei den Wahlen beim vergangenen EHF-Kongress. Wir sind allen anderen Verbänden auf gleicher Augenhöhe begegnet, haben unsere Experten und unser Wissen eingebracht, das wird geschätzt bei EHF und IHF. Und so kommt es, dass wir mit Mark Schober als Vorsitzender des Nations Board jetzt in der EHF-Exekutive vertreten ist. Unsere neue Leiterin Schiedsrichterwesen, Jutta Ehrmann-Wolf, ist seit mehr als einem Jahrzehnt in der EHF aktiv, dazu kommen Vertreter wie Dr. Patrick Luig oder Jochen Beppler in EHF- und IHF-Gremien. Wir sind international jetzt ganz anders aufgestellt. 

Trotz dieser guten Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarn kandidieren Sie Anfang November als IHF-Vize-Präsident gegen den Franzosen und Amtsinhaber Joel Delplanque, der von der IHF nominiert wurde - wie passt das zusammen? 
Andreas Michelmann: Joel und ich haben ein sehr gutes Verhältnis, er hat uns mit dem französischen Verband sehr bei unserer erfolgreichen Bewerbung für die EM 2024 unterstützt. Aber im Handball Forum Europe, der Interessengemeinschaft für Mittel- und Nordeuropa, haben wir uns entschieden, dass ich als Vizepräsident und der Niederländer Tjark de Lange beim IHF-Kongress in Antalya als Exekutivmitglied kandidieren. Wir sind der Meinung, die IHF muss sich Schritt für Schritt verjüngen - und ich würde mich freuen, Teil dieser neuen IHF-Mannschaft zu sein. 

Noch einmal zurück zu Corona und Leistungssport: Wie sehr musste der Handball ums Überleben zittern? 
Andreas Michelmann: Wir als Deutscher Handballbund, Landesverbände und Bundesligen haben im Frühjahr 2020 mit einer riesigen gemeinsamen Kraftanstrengung innerhalb von zwei Wochen den gesamten Handball komplett heruntergefahren, von der Kreisliga bis zur Bundesliga. Unser Hauptaugenmerk lag danach darauf, die Profiklubs am Leben zu erhalten. Und das ist dank der herausragenden Unterstützung der Bundespolitik gelungen, da möchte ich explizit Frank Steffel nennen. Es ist keine Selbstverständlichkeit, wenn sich die Politik so für den Profisport einsetzt und mit Steuermitteln am Leben hält. Zudem haben wir in unserem Verbund Teamsport Deutschland sehr voneinander profitiert und miteinander erreicht - kein einziger Profiverein aus den fünf großen Mannschaftssportarten musste wegen der Pandemie Insolvenz anmelden. 

Aber dennoch klappte es nicht mit dem Olympiagold in Tokio… 
Andreas Michelmann: Wir sind 2013 mit dem von Bob Hanning formulierten Ziel Olympiasieg angetreten, das war sehr mutig und konkret, dahinter konnten sich viele vereinigen. Dann kam die Pandemie. Es gab vor der HBL-Saison 2020/21 keine Absteiger, aber Aufsteiger, so wurde die - meiner Meinung nach mit 18 Mannschaften schon zu große - Bundesliga um weitere vier Spieltage verlängert. Hinzu kam die Entscheidung der HBL-Klubs, die Saison vier Wochen später zu starten. Spätestens da wussten wir alle, dass es bei den Olympischen Spielen sehr schwer werden würde angesichts der knappen Vorbereitung. Für das Überleben aller Profiklubs haben wir also eine bessere Platzierung in Tokio geopfert. Unsere Mannschaft hatte knapp drei Wochen Vorbereitung und musste erst einmal regenerieren, während zum Beispiel die Ägypter seit Mai gemeinsam trainierten. Um Erfolge zu erreichen, braucht man gemeinsame Zeit, da liegt Bundestrainer Alfred Gislason genau richtig mit seiner Forderung. Wir sind allerdings auch in Gesprächen mit der HBL, um für längere und zusätzliche Intervalle für die Nationalmannschaft zu sorgen. 

(BP)