In diesem Sommer vor genau 50 Jahren fanden die XX. Olympischen Spiele in München statt: Unsere Sportart Handball kehrte 1972 auf die olympische Weltbühne zurück und feierte zugleich eine Premiere – das klingt paradox: Wie das doch richtig ist und passt, wollen wir in einer dreiteiligen Serie beleuchten. Wir rufen damit ein Ereignis in Erinnerung, von dem hüben wie drüben wichtige Impulse für unsere Sport ausgingen, ohne die der Handball in Deutschland, aber auch international nicht das geworden wäre, was er heute ist. Die drei Teile widmen sich insbesondere diesen drei Themen:
- Von 1936 bis 1972: Der lange Weg des Handballs nach München (Teil I)
- Über das „bescheidene“ Abschneiden zweier deutscher Teams (Teil II)
- Olympiasieger Jugoslawien läutet die „Zeitenwende“ ein (Teil III)
Die Serie hat der Sportwissenschaftler und Handball-Experte Prof. Dr. Detlef Kuhlmann (Leibniz Universität Hannover) exklusiv für den DHB verfasst. Die drei Teile erscheinen in loser Folge im olympischen Sommer genau 50 Jahre nach München 1972.
Von 1936 bis 1972: Der lange Weg des Handballs nach München
Blenden wir sporthistorisch zurück: Bei den von den Nationalsozialisten missbrauchten XI. Olympischen Spielen 1936 in Berlin gehörte erstmals und letztmals das „deutsche Kampfspiel“ Handball für Männer draußen als „Feldhandball“ (elf Spieler pro Team) mit sechs Mannschaften zum Programm. Die deutsche Mannschaft wurde vor 100.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion ungeschlagen Goldmedaillengewinner nach dem letzten entscheidenden Sieg in der Endrunde gegen Österreich (10:6). Mit Fritz Fromm (1913-2001) auf Linksaußen wurde ein Spieler Olympiasieger, der ab 1949 erster Bundestrainer des Deutschen Handballbundes (DHB) werden sollte.
Zeitensprung: Bevor die Olympischen Spiele vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) 1966 nach München vergeben wurden, ergriff der Gründungspräsident des Deutschen Sportbundes (DSB) und damalige Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland (NOK), das war der DHB-Gründungs- und Ehrenpräsident Willi Daume (1913-1996), die Initiative zur Rückkehr des Handballs auf die olympische Bühne. Daume wagte den Vorstoß jedoch nicht mehr für Feldhandball, sondern erstmals für die „moderne“ Variante als Hallenhandball.
Willi Daume, früher selbst als Handball-Torwart auf dem Großfeld und später als Jugend- und Handballwart in seinem Heimatverein TSC Eintracht Dortmund aktiv, zog erfolgreich alle Register, um den Handballsport zurück ins „Mutterland“ zu holen, zumal diese Sportart weder den meisten IOC-Mitgliedern selbst noch in den meisten Ländern außerhalb Europas bis dahin kaum bekannt war. Willi Daume organisierte 1965 in Madrid zwei Demonstrationsspiele einer DHB-Auswahl gegen das Handball-Entwicklungsland Spanien. Dabei wurde die „Taktik“ ausgegeben, das Spiel möglichst lange ausgeglichen zu gestalten, um so die Attraktivität und die dem Spiel innewohnende Spannung zur Aufführung zu bringen: 24:23 für das DHB-Team und 27:27 gingen die beiden Partien am Ende aus. Kurze Zeit später gehörte Hallenhandball zum olympischen Programm für München 1972.
Die Rückkehr des Handballspiels auf die olympische Bühne bezog sich für 1972 zunächst nur auf die Männer; die Frauen feierten erst vier Jahre später bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal ihre Premiere mit der DDR auf Platz zwei vor der Sowjetunion (UdSSR) bei sechs teilnehmenden Teams (ohne die BRD). Seitdem hat Hallenhandball seinen festen Platz bei den Olympischen Sommerspielen. Der größte Erfolg einer deutschen Mannschaft ist bis heute der Olympiasieg der DDR-Männer 1980 in Moskau.
In der Bundesrepublik Deutschland bzw. beim DHB als Gastgeber-Verband erwartete man das olympische Comeback des Hallenhandballs in München mit viel Vorfreude. Der DHB hatte im Frühjahr 1972 eigens ein 384-seitiges Buch („Almanach“) mit dem Titel „Handball ‘72“ als „Handbuch des Deutschen Handball-Bundes“ herausgegeben, in dem es schon im ersten Kapitel unter anderem heißt:
„Das Hallenhandballspiel ist mit der Aufnahme in das Programm der Olympischen Spiele eine nicht zu übersehende Weltsportart geworden. In München und den anderen süddeutschen Spielorten gilt es nun, diese Chance des Handballs, olympisch zu bleiben, zu nutzen. Wir wissen, dass dies nicht einfach wird (…) sollen die Handballfreunde in aller Welt während des Olympia-Turniers 1972 spüren, daß sie sich einer Sportart verschrieben haben, für die es sich einzusetzen lohnt und weitere Geltung im Weltsportgeschehen zu erstreben. Ich bin da Optimist!“, schreibt Siegfried Perrey (1915-1984), früherer Feldhandball-Nationalspieler und als gefragter Repräsentant des westdeutschen Sports („Mister Olympia“) in München u.a. für die Eröffnungs- und Schlussfeier zuständig.
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann