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„Mit Mentalität und Kampfgeist“

15.04.2021

Emily Bölk (23) ist neben Alina Grijseels und Annika Ingenpaß eine von drei Spielerinnen, die schon einmal gegen Portugal gespielt hat - und wie, denn sie traf bei der Jugend-WM 2014 22 Mal im Achtelfinale gegen die Portugiesinnen. Im Interview spricht die Rückraum-Spielerin von FTC Budapest über ihre Erinnerungen an 2014, die Lehren aus der EM 2020 und die Aufgabe vor den Spielen gegen Portugal.

Wie lebt und trainiert es sich aktuell in Ihrer neuen Heimat Budapest?

Emily Bölk: Ich fühle mich hier in Budapest und bei meinem Klub FTC sehr wohl, obwohl alles natürlich auch hier sehr eingeschränkt ist. In den ersten beiden Monaten in Budapest war das noch anders, da konnte man sich bei tollem Wetter die Stadt ansehen und frei bewegen, aber seit dem Lockdown ist der Fokus nur noch auf Sport. Ich bin entweder in meiner Wohnung, die in der Nähe unseres Trainingszentrums ist, oder in der Halle.

Zum kommenden Gegner Portugal haben Sie eine besondere Beziehung. Bei der Jugend-WM 2014 gelangen Ihnen im Achtelfinale gegen Portugal 22 Tore zum 40:39 nach zwei Verlängerungen und anschließendem Siebenmeterwerfen…

Emily Bölk: Das war ein unglaubliches Spiel, und ich glaube auch, 22 Tore in einem Spiel sind für mich persönlich ein Rekord für die Ewigkeit. Man muss natürlich sagen, dass ich damals alle Siebenmeter geworfen habe und alleine zwölf Treffer vom Punkt erzielt habe. Aber alleine, dass ein Spiel nach 80 Minuten und zwei Verlängerungen immer noch nicht entschieden ist, sondern noch ins dann auch noch verlängerte Siebenmeterwerfen geht, ist total crazy. Das war ein ganz enges Duell in einem wichtigen Spiel, schließlich ging es um den Einzug in ein WM-Viertelfinale.

Was ist Ihnen vom portugiesischen Team sonst noch in der Erinnerung?

Emily Bölk: Ich weiß, dass aus der damaligen Mannschaft von 2014 einige noch heute im Frauenteam mitspielen, und ich weiß auch, dass Portugal von der ersten bis zur letzten Sekunde kämpft. Die geben immer alles, egal, wie lange das Spiel auch dauert. Die haben eine ganz tolle Mentalität. Sie haben keine körperlich großen Spielerinnen, aber sie spielen schnell und mit viel Herz. Am bekanntesten sind natürlich Patricia Rodrigues, die mal in Blomberg spielte, sowie meine frühere THC-Vereinskameradin Mariana Lopes, die jetzt in Leverkusen spielt.

Aber als Favorit geht Deutschland schon in die beiden Spiele?

Emily Bölk: Ja natürlich, wir nehmen diese Favoritenrolle an, auch wenn die Mannschaft möglicherweise unerfahren sein wird. Einige Spielerinnen werden ihre ersten Länderspiele absolvieren, weil nach den Abgängen sowie den Quarantänemaßnahmen in einigen Klubs der Kader wohl anders aussehen wird als zum Beispiel bei der EM im Dezember. Wir müssen mit Mentalität und Kampfgeist diese fehlende Erfahrung ausgleichen, denn das WM-Ticket steht über allem, das ist unser nächstes Ziel. Aber wir müssen auch Tag für Tag die Daumen drücken, dass keine weiteren Fälle auftreten. Ich kenne diese Corona-Erfahrungen aus Ungarn, das bleibt leider spannend, es gibt immer wieder Fragezeichen.

Vor den WM-Play-offs ist nach dem siebten Platz bei der EM - wie haben Sie mit der Mannschaft das Turnier beim vergangenen Lehrgang in Bensheim aufgearbeitet und welche Schlüsse haben Sie für die Zukunft gezogen?

Emily Bölk: Wir haben das Turnier grundsätzlich hinter uns gelassen, aber natürlich nicht ohne eine Analyse zu erstellen, auf was wir für die Zukunft aufbauen können. Wir haben unsere Schlüsse gezogen. Wenn man bei der Bewertung der Entwicklung unserer Mannschaft nur auf die Ergebnisse schaut, sind wir manchmal vielleicht enttäuschter nach Hause gefahren als wir es erhofft hatten. Aber mit Abstand betrachtet, hat man doch gesehen, dass uns bei den vergangenen Turnieren einfach die Erfahrung, aber auch die Konstanz gefehlt hat. Wir haben gezeigt, dass wir gegen Spitzenmannschaften gewinnen können, aber wir haben über einen gesamten Turnierzeitraum nicht konstant unsere Topleistungen abgerufen, daran müssen wir arbeiten. Wir haben keine Angst, uns mit den Besten der Welt zu messen, aber wir waren eben noch nicht so weit, um diesen finalen Schritt ins Halbfinale zu machen. Wir haben das Potenzial dazu - und die EM 2020 hat im Vergleich zur EM 2018 gezeigt, dass wir bis zum letzten Spiel unser Schicksal noch in eigenen Händen hatten.

Waren die kroatischen Frauen als Überraschungs-Bronzegewinner 2020 da ein Vorbild?

Emily Bölk: Auf jeden Fall, die hatte vorher niemand auf dem Schirm gehabt, aber dann hauen so einen raus und gewinnen ganz verdient Bronze. Sie haben bestimmt die beste Leistung ihres Lebens abgerufen. Und wenn man erfolgreich sein will, muss man entweder so viel Erfahrung, Kontinuität und Qualität haben wie Frankreich oder Norwegen, oder man muss das mit dieser Mentalität und diesem Selbstvertrauen wie die Kroatinnen machen.

Interview: Björn Pazen