Um auf dem Spielfeld bestehen zu können, müssen die Unparteiischen den Dreiklang aus Regelkenntnis, Ausstrahlung und körperlicher Fitness in Einklang bringen. „Ich arbeite während der Woche zwei- bis dreimal an meiner körperlichen Fitness“, erklärt Zollitsch. Der Zeitaufwand bemisst sich pro Einheit auf etwa eineinhalb Stunden. Hinzu kommt die unerlässliche Vorbereitung auf die anstehenden Einsätze am Wochenende. „Wir verschaffen uns ein Bild über die beiden Mannschaften. Wie verlaufen die Formkurven? In welcher sportlichen Situation stecken die Teams? Wie sieht die Spielanlage aus? Das sind die Fragen, die wir für uns klären“, sagt Zollitsch, der in der vergangenen Spielzeit noch als Stand-by-Keeper im GWD-Drittligateam aktiv war.
Das Videostudium der Mannschaften kann bis zu vier Stunden in der Woche dauern. Das hängt auch davon ab, ob das Gespann zwei Spiele pfeifen muss oder nur eins. Zusätzlich analysieren die beiden auch ihre eigenen Leistungen anhand des Videoportals „sportlounge“.
Es wird deutlich: Der zu betreibende Zeitaufwand neben den Spielen entspricht jenem eines ambitionierten Amateur-Handballers in der Ober- oder auch 3. Liga. Aber alle körperliche Fitness, alle Regelfestigkeit und alle Vorbereitungen auf alle erdenklichen Szenarien kaschieren Defizite in der Königsdisziplin des Schiedsrichterwesens nicht. „Ohne Ausstrahlung kommt man nicht weit“, unterstreicht Zollitsch. „In dem Punkt ist Jonas besser als ich“, gibt Völkening ohne Umschweife zu und fügt an: „Er findet oft den richtigen Ton, kann auch klare Ansagen gegenüber den Trainern machen, weil er auch sehr hoch gespielt hat.“
Reibung belebt die „Beziehung“
„Da muss man schon seinen eigenen Weg finden“, ergänzt Zollitsch. Seinen Spannmann beschreibt er als „ruhiger und zurückhaltender als mich“. Zollitsch hingegen „bringe die Stimmung ins Team“. Und in dem gebe es selbstverständlich auch einmal Reibungen und unterschiedliche Ansichten: „Das belebt aber auch Beziehungen“, sagt „Zolli“ scherzhaft.
Und wie in jeder sich anbahnenden Beziehung ist das Bauchgefühl der wichtigste Indikator, ob das Zusammensein funktioniert. Da bilden „Zolli“ und „Volker“ keine Ausnahme. „Jonas wollte unbedingt pfeifen. Und schon beim ersten Einsatz habe ich gemerkt: Mit ihm kann man etwas erreichen“, meint der Biologie und Sport auf Lehramt studierende Völkening. Sein Bauchgefühl sollte ihn nicht täuschen. Nach diversen Einsätzen im Nachwuchsbereich machte der frühere Bundesliga-Schiedsrichter Friedhelm Krietemeyer die Verantwortlichen des Handballverbandes Westfalen auf das ehrgeizige Duo aufmerksam. Bei einem Sichtungsturnier der westfälischen C-Jugend-Kreisauswahlmannschaften in Ahlen durfte sich das Gespann beweisen. „Es waren eigentlich nur zwei kurze Einsätze“, erinnert sich Zollitsch.
Das war im Oktober 2017. Kurz, knackig und gut: Die gezeigten Leistungen brachte den beiden die Nominierung für eine Schiedsrichter-Sichtung auf Ebene des Deutschen Handballbundes im folgenden April ein. Inzwischen gehört das Gespann dem DHB-Perspektivkader an und wird in der kommenden Spielzeit hauptsächlich in der 3. Liga eingesetzt. „Wir werden vielleicht auch Spiele in der Staffel Nord-West, in der auch GWD II und Lit Tribe Germania spielen, pfeifen. Aber weil wir in Minden wohnen, werden wir vor allem in den anderen Drittliga-Staffeln eingesetzt“, sagen beide.
Und da warten auch einige große Herausforderungen. Zum Beispiel gibt es in der 3. Liga Traditionsduell im Norden zwischen den Mecklenburger Stieren aus Schwerin und Empor Rostock mit bis zu 5.000 Zuschauern. Schwere Prüfungen hat das Gespann in der vergangenen Spielzeit aber bereits gemeistert. So leitete das junge Duo das Abstiegsendspiel der Männer-Oberliga Westfalen zwischen dem TuS 97 Bielefeld-Jöllenbeck und der TSG Harsewinkel vor 1.500 Zuschauern.
Abstiegsduell als Nagelprobe
„Dementsprechend ging es zur Sache. Bei jedem kleinen Foul kochten die Emotionen hoch, waren die Spieler auf 180“ erinnert sich Völkening. Die Mindener griffen hart durch. „Wir haben ziemlich rigoros Zeitstrafen verteilt“, beschreibt Völkening die Spielleitung. Zunächst sorgte das auch für Unmut auf den Rängen, das Duo musste im wahrsten Sinne des Wortes seinen Mann stehen. „Aber letztlich haben wir das Geschehen auf der Platte in die richtigen Bahnen gelenkt. Nach dem Spiel wurde uns das auch von den Zuschauern bescheinigt“, hatten beide Gewissheit, richtig gehandelt zu haben.
Auch das Achtelfinal-Hinspiel um die Deutsche Meisterschaft zwischen den B-Jungen von Bayer Dormagen und des SC Magdeburg war herausfordernd. „Das waren zwei Topfavoriten auf den Titel“, meint Zollitsch. Neben den Emotionen sei vor allem das Spieltempo ein schwieriger Faktor gewesen. „Vom Regelwerk her musste man da voll auf der Höhe sein“, erzählt der frühere Torwart Zollitsch. „Wenn ich es als Spieler nicht in die Bundesliga schaffe, möchte ich es zumindest als Schiedsrichter schaffen“, beschrieb er einmal seine Motive. Der Weg ist aber, wie als Spieler, verdammt steinig. „Ohne Talent kommt man auch als Schiedsrichter nicht weit“, weiß Zollitsch und auch wie die Tore werfenden und verteidigenden Handballer müssen die an der Pfeife verletzungsfrei bleiben.
„Die beiden Schiedsrichter sind ein Beispiel dafür, dass unser Sichtungssystem für junge talentierte Schiedsrichterteams erfolgreich ist“, sagt Wolfgang Jamelle, Schiedsrichterwart des Deutschen Handballbundes. „Ehrgeizige Teams, die das Ziel haben weiterzukommen, können bei entsprechender Qualität sehr schnell den Schritt über die Ligen in den Landesverbänden in die DHB-Schiedsrichterkader schaffen.“