Der DHB will mit einem neuen Verbandsmanagementsystem in die digitale Zukunft
Foto: Kenny Beele

Projekt Handball 360: Aufbruchstimmung nach jahrelanger Unzufriedenheit

17.10.2025 | Verband

 

Wenn die Delegierten zustimmen, dann wird auf dem Bundestag des Deutschen Handballbundes (DHB) am 16. November in Dresden ein Beschluss für einen riesigen Digitalisierungsschritt für Handball-Deutschland gefasst: ein einheitliches Verbandsmanagementsystem über alle Landesverbände, Ligen, Bezirke und Kreise hinweg. Karsten Küter (Präsident des Handball-Verbands Sachsen) und Dr. Knuth Lange (Präsident des Hamburger Handball-Verbands) sind Mitglieder des Lenkungsausschusses dieses großen Projekts, das den Arbeitstitel Handball360 trägt. Im Interview sprechen die beiden Landesverbandspräsidenten über die bisherige Arbeit in den Arbeitsgruppen, die Verteilung der Kosten und den Mehrwert für alle Handballer in Deutschland. 

Herr Dr. Lange, Herr Küter, wie ging das alles eigentlich los mit dem Projekt Handball360? 

Karsten Küter: Das generelle Thema gibt es schon lange, die Diskussionen dazu gingen schon vor 20 Jahren los. Jeder Landesverband hat sich seitdem ein eigenes Verbandsmanagementsystem organisiert beziehungsweise beschafft und das nutzt er bis heute. Das Projekt Handball 360 hat dann Ende 2023/Anfang 2024 begonnen, weil durch die Veränderung der Spielrechte, die Ausweitung der Jugend-Bundesligen und einen gemeinsamen, Landesverband-übergreifenden Spielbetrieb unterhalb der 3. Liga Druck auf eine einheitliche Regelung kam. Für die Organisation des Spielbetriebs wird aktuell teilweise noch mit Excel-Dateien gearbeitet. 

Dr. Lange: Ein Grund war auch die jahrelange Unzufriedenheit mit den Bestandssystemen. 

 

Handball-Fans kritisieren eine mangelnde Übersichtlichkeit, da bei den Ergebnisdiensten in Deutschland verschiedene Plattformen dominieren. 

Dr. Lange: Das ist nicht nur unpraktisch für den User, sondern auch ineffizient und teuer. Es gibt in Deutschland bei den Spielbetriebsdaten drei Quellsysteme, weswegen wir sehr viel Geld ausgeben, um den einheitlichen Ergebnisdienst handball.net bedienen zu können. 

 

Wer profitiert denn von einem neuen Verbandsmanagementsystem am meisten? 

Dr. Lange: Zunächst einmal muss man festhalten: Auf den Geschäftsstellen der Landesverbände wird noch ganz viel Zu-Fuß-Arbeit gemacht. Die Mitarbeiter bekommen dort tonnenweise Mails, weil Prozesse noch nicht in den IT-Systemen abgebildet sind. Da geht es zum Beispiel um Spielverlegungen, Vereinswechsel oder Staffelmeldungen. Auch ein Spielerwechsel über Landesverbandsgrenzen ist sehr aufwendig. Es gibt einfach viele manuelle Tätigkeiten, die nur teilweise und mit keiner guten IT-technischen Qualität abgebildet sind. Eine neue Saison zum Laufen zu bringen, ist für eine Geschäftsstelle ein Wahnsinns-Aufwand. Von einer strukturierteren Abbildung solcher Prozesse profitieren am Ende aber alle Beteiligten, also auch Vereine, Mannschaften und Spieler. Da geht es um Zeit- und Kostenersparnis. 

Küter: Die Landesverbände und der DHB wollen aber vorausdenken für die Sportler, Vereine, Funktionäre und Verbände, indem wir ihnen ein langfristig zielführendes System an die Hand geben. 

Dr. Lange: Wir merken, dass die Vereine zunehmend digital arbeiten wollen. Beispiel Spielverlegung: Da wurde bis vor kurzem eine PDF-Datei ausgefüllt und versendet. Aber das ist nicht wirklich digital. Der Wunsch ist, solche Prozesse schnell und modern über das Smartphone abzuwickeln. Auch wenn die Vereine danach nicht laut schreien: Sie sind auch Nutznießer von einem neuen Verbandsmanagementsystem. Es gibt aber eine Gruppe, die besonders stark profitiert. 

 

Welche denn? 

Dr. Lange: Die Gruppe der Ansetzer von Schiedsrichtern, Zeitnehmern und Sekretären sowie die Spielleitenden Stellen. Teilweise laufen die Prozesse hier über Excel-Dateien, Messenger-Gruppen oder Anrufe. Künftig kann man alle Prozesse wie beispielsweise Sperrzeiten digital hinterlegen. Das erleichtert die Arbeit extrem. 

Küter: Bislang sind die Anwendungen komplett unterschiedlich in den drei Bestandssysteme. Wir wollen zu einem modernen Self-Service, bei dem der eine komfortabel die Daten eingibt und der andere sie komfortabel verwalten kann. Zentral ist folgendes: Die Nutzer müssen sich natürlich an ein neues System gewöhnen, dafür profitiert der eigene Verein extrem von digitaleren Prozessen. Und der Einzeluser wird keinen größeren Klickaufwand als zuvor haben, sondern eine deutlich größere Nutzerfreundlichkeit. 

 

Gab es weitere Anforderungen für das neue Verbandsmanagementsystem? 

Küter: Im Vorfeld der Ausschreibung wurde ein umfassender Anforderungskatalog definiert. Alle Leistungen der bisherigen Systeme waren natürlich dabei. Darüber hinaus auch Funktionalitäten die wir bisher nicht haben, wie zum Beispiel KI-gestützte Prozesse. Als strenge Nebenbedingungen galten die Datensicherheit und die Datenschutzanforderungen. Darüber hinaus wurden vor allem für internationale Anbieter insbesondere die deutsche Sprache als Anwendungssprache und das alle Spezifika des deutschen Handballs abgebildet werden können vorgegeben. Da geht es u.a. um die Ligenstruktur, um die verschiedenen Arten von Spielformen und um verschiedene Rollen, die es im deutschen Handball gibt. Das geht vom Landesverband, über Ansetzer, Schiedsrichter-Beobachter bis hin zum Spieler. Das ist durchaus komplex. 

"Enorm hohes Tempo": Verbandsmanagementsystem nimmt Fahrt auf

Wie würdet ihr die Zusammenarbeit der Landesverbände bei diesem Projekt beschreiben? 

Dr. Lange: Nach dem Bundesrat im Oktober 2024 ging das Thema mit einer Vorauswahl der Anbieter und einer Ausschreibung los. Dann wurden alle Landesverbände offen aufgerufen, ihre Fachexperten für die verschiedenen Arbeitsgruppen wie Spieltechnik, Schiedsrichterwesen, Geschäftsstelle oder Daten zu benennen. Jeder Landesverband sollte in einer Arbeitsgruppe vertreten sein, wir haben bei der Zusammenstellung auf eine Mischung von großen/kleinen Landesverbänden, Ost/West, Nord/Süd und den verschiedenen Spielsystemen geachtet.  

Dr. Lange: Es gab ein super Feedback. Wir hatten die Qual der Wahl, weil es viel mehr Anwärter auf die Arbeitsgruppen gab als Plätze. Wir hatten von Beginn an eine hochkonstruktive Aufbruchstimmung. 

Küter: Deswegen hatten wir unterschiedlich große Arbeitsgruppen, weil mehr Personen drin waren als gedacht. Wir wollten vielen die Chance geben, an diesem Projekt mitzuwirken. Wir haben im wöchentlichen Turnus in Eineinhalb-Stunden-Sitzungen gearbeitet. Es gab eine sehr hohe Bereitschaft, Freizeit zu opfern, Leute haben sich aus dem Urlaub dazugeschaltet. Wir hatten ein enorm hohes Tempo aller Beteiligten. Der Katalog mit den Grundanforderungen stand sehr schnell. Da möchten wir uns für diese große Bereitschaft bei den Projektmitarbeitern bedanken. 

 

Ergebnis dieses Prozesses ist, dass das System der spanischen Firma toools den Zuschlag bekommt, wenn die Delegierten auf dem Bundestag zustimmen. Warum wurde es das System iSquad von toools? 

Dr. Lange: Mit dem Anforderungskatalog wurden verschiedene Hersteller nach Kriterien wie Funktionalität, Sicherheit, Kosten oder Qualität im Support bewertet. Uns hat die Agentur Sport-heads bei diesem Prozess unterstützt. Es gab einen dreistufigen Vergabeprozess: In der ersten Runde wurden eine Reihe an führenden Anbietern aus dem europäischen Raum einschließlich der Bestandssysteme angefragt. Im zweiten Schritt sind drei Anbieter auf eine Shortlist gekommen, dort war dann toools bei der dritten Bewertungsrunde mit Abstand der Favorit.  

Küter: Wir haben die Beurteilung anonym vorgenommen, um eine eventuelle Befangenheit mit dem jeweiligen Bestandssystem auszuschließen. Die Software iSquad von toools funktioniert bereits seit Jahren erfolgreich im spanischen Handball mit dessen Regionen und Bezirken. Es ist daher sehr viel Handball-Know-how bei diesem Anbieter vorhanden. 

DHB übernimmt Einmalkosten für neues Verbandsmanagementsystem

Wenn es künftig ein einheitliches Verbandsmanagementsystem geben soll, wie werden dann die Kosten aufgeteilt? 

Dr. Lange: Zunächst einmal ist wichtig festzuhalten, dass noch kein Geld an den Dienstleister geflossen ist, das passiert erst, wenn es einen klaren Beschluss auf dem Bundestag gibt. Die laufenden Kosten werden über einen Schlüssel gemäß ihrer Größe auf die Landesverbände aufgeteilt, der DHB übernimmt natürlich die Kosten für seine Ligenbereiche. Außerdem finanziert der DHB großzügigerweise die Einmalkosten für die Einführung. Das sind rund 400.000 Euro, mit denen die Landesverbände nicht belastet werden. Insgesamt wird das System für die Landesverbände in Summer sogar günstiger. Das sichert der Dachverband auch für die kommenden drei Jahre zu. 

 

Das Projekt Handball360 steht auch für eine größere Datenqualität. Wie ist es denn um den Datenschutz bestellt? 

Dr. Lange: Ein ganz wichtiges Thema. Wir hatten eine Datenschutzprüfung mit dem Dienstleister. Die Datenhaltung ist in der EU, was nicht jeder System-Hersteller so handhabt. Wir haben natürlich bewusst darauf geachtet, dass die DSGVO absolut eingehalten wird. Personenbezogene Daten wie Name, Geburtsdatum und Kontaktdaten – vor allem von Jugendlichen – sind höchst schützenswert. Wir brauchen aber solche Daten, zumindest Name und Geburtsdatum, für die Erfüllung des Spielbetriebs. Es muss ja gewährleistet sein, dass alle Kinder und Jugendlichen in der richtigen Altersklasse spielen. Aber wir halten uns an das Prinzip der Datensparsamkeit. Daten, die wir beispielsweise für die Verifizierung brauchen, wie zum Beispiel den Pass, werden wir wieder löschen. Das haben wir sauber geprüft und werden wir noch einmal extern prüfen lassen. 

 

Wo werden die Handballer das neue Verbandsmanagementsystem im Alltag merken? 

Küter: Vor allem bei dem Self-Service-Konzept. Jeder einzelne kann sich künftig mit einem Blick in die App selbst verwalten, da geht es um Anträge, Lizenzen, Lehrgänge und Ansetzungen. Will man künftig beispielsweise in zwei Landesverbänden als Spieler aktiv sein, dann geht es viel einfacher. Dafür sorgt die Handball-ID, künftig wird jeder Handballer einmal im System auftauchen, nicht wie aktuell möglicherweise in mehreren Landesverbänden. 

Dr. Lange: Ansonsten wird die Handball-ID im Alltag aber kaum in Erscheinung treten. Man braucht eine ID, die nicht die Mailadresse ist, mit der man sich im System anmeldet. Damit erreicht man, dass jeder User unique ist. Diese ID bleibt ein Leben lang gleich, auch bei Umzug oder wenn aus einer Spieler- eine Trainerkarriere wird. Was der User im Alltag aber merken wird: Eine modernere Oberfläche des Systems. Die aktuellen Systeme sind in die Jahre gekommen. 

Küter: Gewünschte Anpassungen im Sinne der User hinsichtlich Funktionalität und Nutzerfreundlichkeit fallen bislang einfach hinten runter. In den Bestandssystemen funktioniert der Spielbetrieb, aber Effizienzsteigerung oder Weiterentwicklung sind nicht möglich, weil das Budget zu klein ist, wenn die Landesverbände einzeln in Systeme investieren. Das soll nach dem Bundestag anders laufen. 

Dr. Lange: Das wird ein Gewinn für alle. Vom Schiedsrichter-Ansetzer im Kreis über die Spieler bis hin zu den Mitarbeitern in den Landesverbänden. Digitalere Prozesse, Kosten- und Zeitersparnis und eine modernem smartphone-kompatible Oberfläche. Das verspricht das einheitliche Verbandsmanagementsystem.