Große Risiken, aber auch viele Chancen: Ganztag 2026 verändert den Handball
Ab dem kommenden Schuljahr kommt der Ganztagsanspruch für Grundschulkinder. Das stellt die Handballvereine vor große Herausforderungen. Wie die Klubs mit Kooperationen jetzt profitieren können.
Es trägt den unschuldigen Namen „Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter“, ist im Achten Sozialgesetzbuch zu finden und könnte die Struktur zahlreicher Handballvereine in Deutschland massiv betreffen. Am 1. August 2026 tritt der Anspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter in Kraft. Und wenn die Handballvereine nicht aktiv werden, könnte das deren Mitgliederzahlen, Mannschaftsgröße, Verfügbarkeiten von Ehrenamtlichen oder Hallenzeiten beeinträchtigen.
Schon 2021 haben Bundestag und Bundesrat beschlossen, dass die Betreuungslücke geschlossen werden soll, die für Kinder nach der Kita mit der Einschulung entsteht. Denn sobald die Kinder die Erste Klasse erreichen, endet für sie je nach Schule und Wochentag der Unterrichtstag zwischen 11.30 und 13.00 Uhr. Manche Schulen bieten verschiedene Ganztags- oder Nachmittagsangebote an, doch dort wo das nicht angeboten wird, müssen Familien die Betreuung ihrer Kinder nachmittags selbst organisieren.
Das möchte der Gesetzgeber ändern, indem jedes Kind in Deutschland den Anspruch auf einen Betreuungsumfang von acht Stunden (die Unterrichtszeit wird hier angerechnet) an allen fünf Werktagen hat – und das sogar in den Ferien (mit Ausnahme von vier Wochen Schließzeit pro Jahr). Konkret heißt das: Alle Grundschulen in Deutschland müssen ab dem kommenden Schuljahr 2026/27 eine Nachmittagsbetreuung für alle Erstklässler anbieten. 2027/28 kommt die Zweite Klassenstufe hinzu, im Jahr danach die Dritte und ab 2029/30 gilt dieser Rechtsanspruch für alle Grundschulklassen. Die Ziele dahinter: Schulkinder besser fördern und eine bessere Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf für Eltern.
Ein Rechtsanspruch bedeutet natürlich keine Pflicht, die Eltern können sich frei entscheiden, ob sie ihre Kinder nach dem Unterricht zuhause selbst oder privat organisiert betreuen oder ob sie das Nachmittagsangebot in der Grundschule annehmen. Das zuständige Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend kann selbst noch nicht abschätzen, inwieweit Familien solche Angebote wahrnehmen.
Ganztagsanspruch in der Grundschule: Große regionale Unterschiede in Deutschland
Schon jetzt gibt es große regionale Unterschiede. In den Bundesländern Hamburg, Sachsen und Thüringen gibt es beispielsweise an allen Grundschulen schon Ganztagsangebote, in Baden-Württemberg liegt der Anteil bei rund 29 Prozent. Auch die genaue Umsetzung dieses Rechtsanspruchs ist noch unklar und liegt bei den Bundesländern. Fest steht nur: Jede Familie hat Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung, der jeweilige Schulträger, also Kommune, Stadt oder Landkreis, muss sicherstellen, dass ein Platz in einem Ganztagsangebot zur Verfügung steht.
Vor allem für die Bundesländer oder Regionen, in denen es bislang kaum oder keine Ganztagsangebote gibt, dürften die Auswirkungen auf die Amateursport-Vereine und damit auf den Handball deutlich spürbar sein. „Es ist eine einfache Gleichung: Das Angebot der Schulen Kinder zu betreuen wächst und wird voraussichtlich auch mehr angenommen – die verfügbare Zeit der Kinder für Vereinssport wird dadurch reduziert“, erklärt Martin Goepfert, Vorstand Mitglieder beim Deutschen Handballbund. Dazu kommt: Mehr Schulzeit führt dazu, dass die Schulen ihre Sportinfrastruktur deutlich mehr beanspruchen müssen. Grundschulturnhallen, die bislang nachmittags von den Sportvereinen genutzt werden, werden viel weniger zur Verfügung stehen. „Eigentlich brauchen die Handballvereine an vielen Orten mehr Trainingszeiten, wenn die Grundschulen ihre Hallen länger am Tag nutzen, werden Zeiten aber wegfallen“, warnt Goepfert.
Und das dritte Risiko betrifft die Ehrenamtlichen. Wenn künftig mehr Kinder im Grundschulalter ganztags betreut werden, werden auch mehr Eltern ganztags arbeiten. Das ist ja ein Ziel der Gesetzesänderung. Das kann sich aber negativ auf die Zahl der ehrenamtlichen Trainer auswirken, auf die die Vereine angewiesen sind. „Und gleichzeitig könnte der Ganztag sogar eine Konkurrenz für die Vereine sein, weil dort auf Grund anderer Finanzierungsquellen besser bezahlte „Trainerjobs“ möglich werden“, erklärt Goepfert.
Zusammengefasst: Weniger Hallenzeiten, die Grundschulkinder haben weniger Freizeit für Vereinssport, die Eltern haben weniger Zeit für ehrenamtliche Trainertätigkeiten im Verein und gleichzeitig ist der „Trainerjob“ in der Ganztagsschule besser bezahlt. Für Handballvereine sind das keine guten Nachrichten.
Kooperationen zwischen Grundschulen und Handballvereinen helfen beiden Seiten
An der Gesetzeslage selbst kann man nichts ändern. Es gibt nur eine Lösung, die verspricht aber aus den schlechten Nachrichten richtig gute zu machen: Die Handballvereine müssen Teil des Ganztags in den Grundschulen werden. Denn dadurch werden aus den Nachteilen riesige Vorteile. Für Vereine bieten sich verschiedene Kooperationsmöglichkeiten mit den Grundschulen: Aktionstage, Sportangebote in den Ferien, längerfristige Kooperationen wie die Übernahme einzelner wöchentlicher Sportangebote oder sogar die Übernahme einer Trägerschaft als Handballverein.
Grundsätzlich gilt: Schaffen es die Handballvereine, durch gelungene Kooperationen Teil des Ganztagsangebots zu werden, sichern oder erweitern sie ihren Zugriff auf Hallenzeiten. Zudem können sie bessere Angebote an ihre Trainer machen, da es über Fördertöpfe, welche die Grundschulen aktivieren können, die Möglichkeit gibt Übungsleiter zu bezahlen und auszubilden. Ein dritter riesiger Vorteil: Wenn man es als Handballverein in den Grundschul-Ganztag schafft, erreicht man auf einmal potenziell viele Kinder, die ansonsten mit dem Handballsport gar nicht in Berührung gekommen wären.
Aus den Risiken weniger Kinder haben Zeit für Handball, weniger Ehrenamtliche und weniger Hallenzeiten dreht es sich also um 180 Grad ins Positive: Man erreicht mehr Kinder, kann Trainern sogar bessere Bezahlungsoptionen anbieten und hat bessere Chancen auf Hallenzeiten.
Der DHB macht die Vereine auf diese Chancen aufmerksam. Basismaterial ist die Mini-Broschüre zum Thema Ganztag, beispielsweise mit Informationen zu den verschiedenen Formen der Ganztagsbetreuung, möglichen Kooperationsformen und einem Gesprächsleitfaden für die Kontaktaufnahme mit den Grundschulen. Darüber hinaus wird der DHB in den nächsten Wochen und Monaten weitere Angebote machen: Best-Practice-Beispiele gelungener Kooperationen, Live-Sprechstunden sowie Praxistipps für Interessierte Vereine und vieles mehr.
Denn letztendlich ist es so: Schafft es der Handball nicht nachhaltig in den Grundschul-Ganztag, könnte sich dies auf die gesamte Struktur und die Zukunft der Sportart auswirken. Gelingt es den Handballvereinen aber, Kooperationen mit den Grundschulen einzugehen, eröffnen sich Chancen und Vorteile, die bislang noch nicht möglich waren und sogar Wachstum und Professionalisierung ermöglichen. Für die Handballvereine gehe es jetzt darum, aktiv zu werden, sagt Martin Goepfert. „Jede eingegangene Kooperation, egal in welcher Form, zwischen einem Handballverein und einer Ganztagsschule ist ein Gewinn für den Handballsport und daher unser aller Ziel.“
Hier bekommen Handballvereine Hilfe für Kooperationen im Grundschulganztag:
- - Die Mini-Broschüre zum Thema Ganztag mit Informationen und Hilfestellungen für Vereine
- - Materialsammlung: Formen der Ganztagsbetreuung, Best-Practice-Beispiele, Gesprächsleitfaden
- - Ihr habt als Verein Fragen zum Thema Ganztag? Hier könnt ihr den DHB erreichen: ehrenamt@dhb.de