Vom Spielfeld an die Pfeife
Ex-Bundesligatorhüter Jens Vortmann wird Schiedsrichter - Debüt in der 3. Liga mit Nils Blümel
Vom Spielfeld an die Pfeife: Der ehemalige Bundesligatorhüter Jens Vortmann beendete im vergangenen Sommer seine Karriere und absolvierte wenige Wochen später seine Schiedsrichter-Grundausbildung. Der 37-Jährige will an der Pfeife dorthin zurück, wo er über Jahre aktiv war: in den Leistungshandball.
Der erste Meilenstein auf diesem Weg ist erreicht: Gemeinsam mit dem langjährigen Bundesligaschiedsrichter und Sprecher des Elitekaders Nils Blümel gab Vortmann am vergangenen Samstag beim Spiel SC Markranstädt gegen den 1. FC Köln sein Debüt in der 3. Liga der Frauen.
Auf der Tribüne in Leipzig mit dabei: Jörg Loppaschewski, der aktuelle Teamkollege von Blümel. Der 52-Jährige wird im Sommer seine Karriere beenden. Da der zehn Jahre jüngere Blümel jedoch weiter als Schiedsrichter aktiv sein wollte, stand fest, dass er einen neuen Gespannpartner benötigt – und diesen fand er überraschend in Neu-Schiedsrichter Vortmann.
Nach seinem Karriereende im Sommer 2024 habe er sich „über die Möglichkeiten Gedanken gemacht, dem Sport verbunden zu bleiben“, erklärt Vortmann seine Entscheidung. „Auf einer Geschäftsstelle zu sitzen oder als Trainer oder Torwarttrainer aktiv zu sein, hat mich nicht gereizt – und so kam ich darauf, Schiedsrichter zu werden.“
Über den Mannschaftsbetreuer seines letzten Vereins HSV Hamburg landete diese Idee bei Jutta Ehrmann – und die Leiterin des Schiedsrichterwesens im Deutschen Handballbund war begeistert: „Es ist ein komplett neuer Weg, den wir hier seitens des Schiedsrichterwesens gehen, denn einen ehemaligen Bundesligaspieler mit einem Elite-Schiedsrichter aktiv gemeinsam auf die Platte zu bringen, gab es in dieser Form so noch nicht im Deutschen Handballbund.“
Ehrmann brachte Vortmann daher mit Blümel zusammen. „Mich hat die Nachricht überrascht, aber ich fand es toll“, sagt der langjährige Bundesligaschiedsrichter. „Es gehört einiges dazu, den Mut zu haben, vom aktiven Spieler in die Schiedsrichter-Tätigkeit zu gehen.“ Ihm nötige dieser Rollenwechsel seines neues Partners, das betont Blümel ausdrücklich, „großen Respekt ab“.
In einem Trainingsspiel in ihrer gemeinsamen Heimatstadt Berlin standen sie im Winter 2024 erstmals gemeinsam auf dem Feld. „Ich muss sagen: Es ist viel besser gelaufen, als ich es erwartet hätte“, hält Blümel rückblickend fest. „Wenn man noch nie einen Pfiff gemacht hat, ist das erste Spiel eine große Aufgabe. Die Regeln theoretisch zu lernen und praktisch anzuwenden, sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Natürlich habe ich gemerkt, dass Jens vorher noch nicht gepfiffen hat, aber er hat einen riesigen Vorteil: sein Spielverständnis.“
Als ehemaliger Bundesligaspieler, der unter anderem für den HSV Hamburg, den SC DHfK Leipzig und GWD Minden auflief, kennt Vortmann den Leistungshandball aus seinem Alltag – ein Background, den neue Schiedsrichter in der Regel nicht mitbringen. „Ich glaube, das Torhüterspiel hilft mir jetzt auch, denn ich habe das Spiel aus einer ähnlichen Perspektive wie der Torschiedsrichter verfolgt“, schmunzelt der 37-Jährige. „Ich bin ebenfalls sehr froh, dass es in Sachen Spielverständnis und Regelauslegung in die richtige Richtung geht.“
Dass noch ein langer Weg vor ihm liegt, weiß Vortmann. „Das Stellungsspiel, die Körpersprache und das Verkaufen von Entscheidungen“, nennt er als Baustellen. „Da muss ich an Erfahrung gewinnen, aber ich bin guter Dinge, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden.“ Auch Ehrmann ist optimistisch: „Jens war schon bei unserem ersten Telefonat klar in seiner Zielrichtung und hat in der Implementierungsphase dieses Projektes bisher alle Meilensteile professionell abgearbeitet“, lobt sie.
Die Balance im Team zwischen dem Schiedsrichter-Neuling und dem Routinier mit über 700 Einsätzen für den Deutschen Handballbund ist indes kein Problem. „Ich habe zwar mehr Erfahrung als Schiedsrichter, aber kann ein Spiel auf diesem Niveau nicht allein gut leiten und würde daher nie auf die Idee kommen, als Feldschiedsrichter den Siebenmeter zu pfeifen“, betont Blümel.
Das gegenseitige Vertrauen sei immens wichtig, das unterstreicht auch Vortmann: „Wenn wir Spiele auf einem gewissen Leistungsniveau leiten wollen, muss sich Nils zu hundert Prozent auf die Aufgaben konzentrieren, für die er zuständig ist. Es ist niemandem geholfen, wenn er mit einem halben Auge darauf schaut, ob ich es auch richtig mache.“
Zudem gibt es eine ganz besondere Unterstützung für Vortmann: Blümels aktueller Partner Loppaschewski begleitet in dieser Übergangsphase die Einsätze des neuen Teams Blümel/Vortmann und coacht seinen Nachfolger. „Ich bin sehr, sehr glücklich, dass ‚Loppa‘ sich bereit erklärt hat, mir unter die Arme zu greifen“, bedankt sich Vortmann. „Er hat eine unglaubliche Erfahrung, und ich versuche, seine Ratschläge wie ein Schwamm aufzusagen.“
Für den 52-Jährigen ist der Support selbstverständlich. Dass ein Partnerwechsel irgendwann notwendig sein würde, „wussten wir aufgrund unseres Altersunterschiedes schon in früheren Jahren“, sagt Loppaschewski. .„Es ist aufgrund unserer Freundschaft eine Herzensangelegenheit für mich, dass Nils weitermachen kann, und das möchte ich unbedingt unterstützen, soweit es in meinen Möglichkeiten liegt.“
Die Zukunft des Schiedsrichter-Teams Blümel/Vortmann ist aktuell offen. „Wir wollen möglichst erfolgreich als Gespann unterwegs sein, aber was das im Detail heißt, muss sich zeigen“, sagt Vortmann und ergänzt: „Wir sind beide optimistisch, aber ergebnisoffen an das Projekt herangegangen. Es wird sich aber erst noch zeigen, ob es von den Leistungen als Schiedsrichter reicht, ein Bundesligagespann Blümel/Vortmann zu werden.“
Auch Schiedsrichter-Chefin Ehrmann betont, dass das Ergebnis des Modellprojekts noch nicht feststeht: „Ob die beiden in dieser Konstellation ganz oben ankommen, muss sich zeigen, denn die Unwägbarkeiten in der Praxis werden kommen“, hält die frühere Spitzenschiedsrichterin fest, „Das bringt der Job an der Pfeife mit sich.“ Ein Konkurrenzkampf mit anderen Schiedsrichter-Teams wird es aber zuerst einmal nicht geben; Blümel/Vortmann sollen außer Konkurrenz geführt werden, ähnlich wie es in früheren Jahren innerhalb des Deutschen Handballbundes bei der Förderung weiblicher Schiedsrichter-Teams gehandhabt wurde.
Dass sie unter besonderer Beobachtung stehen, wissen die beiden Berliner. „Es ist eine riesige Herausforderung und ich glaube, dass ein gewisser Erwartungsdruck von Außen da ist“, sagt Blümel offen. „Der ein oder andere wird sich ganz genau anschauen, was so ein ehemaliger Profisportler als Schiedsrichter schafft.“
Vortmann weiß ebenfalls um die spezielle Situation. „Ich habe sehr viel Unterstützung von Jutta, das ist nicht alltäglich. Dass ich das Privileg habe, direkt mit jemandem wie Nils als Gespannpartner die ersten Schritte zu gehen, ist auch nicht normal“, betont der 37-Jährige. „Da habe ich schon einen Vorteil gegenüber der ‚normalen Laufbahn'. Auf der anderen Seite muss ich aber eben auch zeigen, dass es die richtige Entscheidung von Jutta war, das in der Form zu unterstützen.“
Druck will sich das neue Duo aber nicht machen. „Wir geben aber unser Bestes und versuchen, gute Leistungen zu zeigen und dann werden wir sehen, ob es reicht oder nicht“, hält Blümel fest. „Wenn es nicht reichen sollte, werden wir das akzeptieren – unsere Erwartung ist nicht, dass es ein Selbstläufer ist. Am Ende muss die Leistung stimmen – damit steht und fällt alles.“
Text: Julia Nikoleit